Vor ein paar Wochen gab ich bei einer Kundin vor Ort einen Workshop zum Thema Geschlechtergerechtigkeit. Das ist nicht nur mein Job bei IN-VISIBLE, sondern mir als nichtbinärem Menschen auch persönlich ein sehr wichtiges Thema. Schön für mich war dieses Mal, dass sich viele der Teilnehmenden schon mit dem Thema auseinandergesetzt hatten und ich nicht erst weit ausholen musste: schnell diskutierten wir über Geschlechternormen und reflektierten unsere eigenen Voreingenommenheiten. Leider bedeuten sensibilisierte Mitarbeitende nicht immer auch gleich inklusive Räume, und so war ich dann trotz des tollen Workshops nicht überrascht, als ich in der Pause nach den Toiletten fragte und meine Ansprechpartnerin sich vielmals dafür entschuldigte, dass es keine geschlechtsneutralen Toiletten gäbe und ich (eine, wie gesagt, nichtbinäre Person) mir eine aussuchen könnte.
Was macht eine Toilette geschlechtsneutral?
Überrascht war ich allerdings, als ich vor den Toilettentüren stand und feststellte, dass sie völlig geschlechtsneutral waren. Auf dem einen Schild eine Sitztoilette, auf dem anderen eine Sitztoilette und ein Urinal - es stand also nicht dran, wer die Toiletten benutzen darf, sondern lediglich, was man dort vorfinden würde. Wieso wurde mir also gesagt, die Toiletten seien nicht geschlechtsneutral? Tatsächlich ist das Anbringen von Schildern zur Art der Toilette statt zu den potentiellen Benutzer*innen eine der einfachsten Möglichkeiten, öffentliche Toiletten schnell inklusiv umzugestalten! Und trotzdem waren sie in der Vorstellung meines Gegenübers nicht geschlechtergerecht. Wieso? Weil Geschlechternormen tief greifen: Wir können ein Urinal nicht mit Frauen assoziieren - obwohl es eigentlich nur ein Gegenstand ist, und obwohl es Frauen gibt, die es nutzen könnten.
Trans Menschen am Arbeitsplatz: Unternehmen können das Umfeld inklusiv gestalten.
Was können wir für den Arbeitsplatz aus dieser Anekdote mitnehmen? Arbeitsplätze gendergerecht und auch für trans, nichtbinäre und intergeschlechtliche Menschen inklusiv zu gestalten muss gar nicht so schwierig sein. Inklusive Toiletten brauchen keinen Neubau - ein paar Schilder reichen. Im professionellen Rahmen machen sich die oben beschriebenen Symbole immer gut, aber ich habe schon viele Varianten gesehen: Von einem einfachen „Alle“ und „Alle“ oder „Toilette 1“ und „Toilette 2“ über Listen mit verschiedensten Geschlechtsidentitäten bis hin zu Fantasiesymbolen oder Fabelwesen. Warum nicht kreativ werden? Das beugt auch der beschriebenen Bias vor, die Gegenstände mitbringen, die wir mit einem bestimmten Geschlecht verbinden. Ein Urinal ist für viele Menschen etwas männliches - aber wer weiß schon, welches Geschlecht ein Drache hat?
Cis Mitarbeitenden die Angst vor trans Menschen nehmen
Dürfen Toiletten von allen genutzt werden, löst das manchmal Sorgen und Ängste aus. Aber: Geschlechtsneutrale Toiletten sind für (cis) Frauen nicht unsicherer als geschlechtergetrennte Toiletten. Das heißt nicht, dass es für alle Mitarbeiter*innen direkt angenehm ist, Menschen eines (vermeintlich) anderen Geschlechts in so einem intimen Raum zu treffen - dazu sind wir einfach viel zu sehr an diese Trennung gewöhnt. Es ist völlig normal und in Ordnung, sich anfangs unsicher zu fühlen. Hier sind Unternehmen gefragt, um diese Unsicherheit aufzufangen.
Wie kann das aussehen? Hier drei Tipps, wie die Einrichtung von geschlechtsneutralen Toiletten kommunikativ eingebettet werden kann:
Schickt anlässlich der Einführung geschlechtsneutraler Toiletten eine Rundmail, die die neue Regelung erklärt und Bedenken durch Links zu passenden Studien ausräumt.
Bietet einen Vortrag oder Workshop zum Thema Transgeschlechtlichkeit oder Gendergerechtigkeit an, in dem es nicht nur Informationen, sondern auch einen Raum zum Austausch und der Auseinandersetzung mit eigenen Sorgen gibt.
Bringt in den Toilettenräumen Schilder an, die erklären, warum sich das Unternehmen für geschlechtsneutrale Toiletten entschieden hat.
Wenn es räumlich möglich ist, können natürlich auch Toiletten eingerichtet werden, die jeweils nur für eine Person zugänglich sind. Laut Datenlage gibt es aber keine Hinweise darauf, dass geschlechtsneutrale Toiletten tatsächlich zu Belästigung oder Übergriffen führen. Ist ja eigentlich auch logisch: Wer jemand belästigen will, der*die lässt sich von einem Schild an der Tür nicht abhalten - oder tut es auch an anderen Orten. Neutrale Toiletten hingegen geben Sicherheit: Niemand, egal welcher Geschlechtsidentität, muss überlegen, ob man weiblich oder männlich „genug“ aussieht, um ohne komische Blicke oder Kommentare eine unvermeidbare Körperfunktion zu verrichten. Wer diese Situation kennt, weiß, welche Erleichterung das ist - und um das zu erreichen, tun es schon zwei Blatt Papier und ein bisschen Tinte.
Was sagt das Recht zu inklusiven Toiletten?
Eine rechtliche Hürde gilt es leider bei der Einrichtung geschlechtsneutraler Toiletten zu beachten: Die Arbeitsstättenverordnung sieht vor, dass für Männer und Frauen getrennte Toiletten eingerichtet werden oder sie getrennt genutzt werden können. Das heißt einerseits: Wenn es einzelne Toilettenräume gibt, die sowieso nur getrennt genutzt werden können, gibt es keinen Grund, sie nicht geschlechtsneutral zu machen.
Andererseits müssen Räume mit mehreren Toilettenkabinen zwangsläufig mit einem Geschlecht gelabelt werden, zumindest wenn nur zwei dieser Räume vorhanden sind. Sofern es bereits ein weibliches und ein männliches WC gibt, kann ein dritter Raum problemlos zur geschlechtsneutralen Toilette erklärt werden. Was die Verordnung allerdings außer Acht lässt, ist, dass es inzwischen auch rein rechtlich Menschen gibt, die nicht weiblich oder männlich sind und demnach in diesem System nicht mitgedacht werden.
Hinzu kommt, dass die Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung und damit auch diese zweigeschlechtliche Aufteilung dem Schutz der Angestellten und der Vermeidung u.a. von psychischer Belastung dienen sollen - aber dabei ignorieren, dass zweigeschlechtliche Toiletten für trans, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen starken psychischen Stress auslösen können. Eine solche Benachteiligung verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Hier stehen also zwei rechtliche Regelungen gegeneinander und es entsteht eine derzeit noch nicht abschließend geklärte Grauzone.
Was empfiehlt die Antidiskriminierungsstelle?
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärte allerdings bereits 2020 deutlich: Entgegen der Arbeitsstättenverordnung sei es “bereits jetzt angezeigt, geschlechterneutrale Sanitäranlagen einzurichten” - auch dann, wenn es keine zusätzlichen geschlechtergetrennten Toiletten gibt. Für trans Menschen am Arbeitsplatz ist es auch gesundheitlich äußerst wichtig, dass sie ohne Angst die Toiletten, Duschen oder Umkleiden nutzen können. Die Antidiskriminierungsstelle weißt aber auch darauf hin, dass nicht alle trans Menschen neutrale Toiletten bevorzugen.
Wenn es geschlechtergetrennte Toiletten (oder Duschen, Umkleiden, usw.) gibt, muss beispielweise trans Männern und Frauen ermöglicht werden, den für sie richtigen Raum zu nutzen, statt in einen neutralen Raum gedrängt zu werden, der ihnen ihre Geschlechtsidentität abspricht. In den Worten der Antidiskriminierungsstelle: es “ist neben geschlechtsneutralen Sanitärräumen auch ein diskriminierungsarmer Umgang in zweigeschlechtlichen Sanitärräumen durch Sensibilisierung und Fortbildung zu fördern.” (Fütty et al., 2020).
Was kann ich für trans Menschen am Arbeitsplatz tun?
Natürlich sind Toiletten nicht der einzige Ort, an denen ihr trans, inter und nichtbinären Kolleg*innen (und allen, die nicht so richtig in Bilder von „Frau“ und „Mann“ passen) das Leben ein bisschen leichter machen könnt. Für alle, die wissen möchten, was es bedeuten kann, am Arbeitsplatz ein Ally (also Verbündete*r) für trans Menschen zu sein, biete ich am 4. April um 12.30 einen kostenlosen Lunch Talk an.
Als trans Person über Bedürfnisse von trans Menschen am Arbeitsplatz sprechen
Als nichbinäre*r trans Berater*in für Gender am Arbeitsplatz bringe ich mein Erfahrungswissen aus zwanzig Jahren mit. Dieses Wissen umfasst meinen persönlichen Einblicke bezüglich offen trans-Sein und über fünfzehn Jahren in der LSBTIQ+ Arbeit. Ich freue mich darauf, meine Perspektive mit euch zu teilen.
Quelle Fütty, Tamás Jules, Marek Sancho Höhne, und Eric Llaveria Caselles. Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen. Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2020.