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AutorenbildRea Eldem

Gender Spotlights: Ballett


Ich habe mal eine Rolle getanzt in einer Spielzeit als Hexe. Ich hatte ein großes, pompöses Kleid. Die Hexe war aber böse, sie hat die Protagonistin auf den Boden gedrückt. Ich habe mich total unwohl mit diesem Narrativ gefühlt. Ich dachte: Wow, ich bin eine schwule Person im Kleid und transportiere das Narrativ, dass ein Mann im Kleid böse ist.

Schwanensee, Dornröschen, Nussknacker - wer an Ballett denkt, denkt vor allem erstmal an Kulturprogramm. Aber: Ballett ist nicht nur Kunstform, sondern auch Arbeitsplatz.

Heute geht es vor darum, wie sich dieser Arbeitsplatz eigentlich so gestaltet - bezogen auf Geschlechterrollen und -Darstellungen. Im Gespräch mit Sascha Paar thematisieren wir die Darstellung von Frauen und Männern - und warum das so wenig fluide ist, wie sich das anhört. Und wir reden darüber, wie Maskulinität im Ballett verhandelt wird und warum Tanz eigentlich großes Potenzial hätte, solche Grenzen zu überwinden und neue Darstellungsformen zu finden.


Sascha, danke dass du bei den Gender Spotlights mitmachst. Wir haben uns auf dem WHOLE Festival kennengelernt, einem queeren Musikfestival in Ostdeutschland vor ca. einem Jahr. Eigentlich wohnst du aber in Chemnitz, bist aber aus Österreich und gerade bist du wiederum in Finnland. Klingt, als wärst du sehr viel unterwegs…


Ja, ich war immer jemand, der ein wenig rastlos ist. Ich wollte schon als Kind immer viel erleben und sehen. Damals habe ich immer meinen Onkel bewundert, der damals in Wien wohnte und ich habe mir immer gedacht “So ein Leben will ich auch!”. Ich bin ein sehr offener Mensch und freue mich immer über neuen Input.


Das Projekt, mit dem du gerade unterwegs bist, ist ein Europaprojekt. Kannst du uns etwas darüber verraten, was das heißt?


Das Projekt heißt Rail2dance und verbindet vier europäische Länder. Aus jedem Land (Finnland, Schweden, Deutschland und Slowenien) kommen vier Künstler*innen zusammen und produzieren Kunst, die im urbanen Raum produziert wird, um so neues Publikum zu gewinnen. Gerade sind wir mit den Stücken auf Tour in Schweden. Es ist sehr interessant für mich, aus dem Theater raus zu gehen und zu sehen, wer mein Publikum ist, denn normalerweise sehe ich nur eine schwarze Wand vor mir.


Wie bist du überhaupt zum Tanz gekommen?


Ich wollte immer Schauspieler werden, das war mein Traum. Und ich habe im Schauspiel bemerkt, dass Bewegung und Körperarbeit mir gut tut. Dann bin ich in Graz auf eine Tanzschule gegangen, aber nicht mit der Intention, Tänzer zu werden. Und dann war da ein Lehrer, der gesagt hat, du solltest eigentlich Ballett machen.


Ah, da ist es mal wieder: Diese eine Person, die den eigenen Lebensweg so sehr beeinflusst.


Absolut. So war das. Diese Person ist nun eine meiner engsten Familienmitglieder. Zwar nicht im traditionellen Sinne, also blutsverwandt. Aber seelenverwandt, ich wüsste nicht wo ich wär ohne ihn. Sein Name ist Karl Reinisch.


Warum war es wichtig, so eine Person zu haben, im tänzerischen Umfeld?


Da muss ich etwas weiter ausholen. Ich sag immer, ich komme aus Graz, aber das ist eigentlich eine Lüge. Tatsächlich bin ich in einer kleinen Stadt 40 km von Graz entfernt. Wenn du in einer Stadt aufwächst, wo es ganz klare Normen gibt, ist es als queere Person schwer. Das kennen bestimmt viele. Es gibt diese Idee, was du als Junge machen sollst, und was als Mädchen. Für Jungen waren das Dinge wie Fußball spielen und andere typische Sachen. Und ich hab das alles nie gemacht. Ich habe mit Barbies gespielt und hatte Spaß dabei. Und das war als Kind schwierig. Heute ist mir klar: Du musst dir selbst vertrauen, aber diese Sicherheit hatte ich als Kind nicht.



Und mit dieser Unsicherheit bist du dann im Tanz gelandet?


Genau. Und ich habe gesagt: Nein: Ich will Schauspiel machen. Da war ich aber schon 16. Heißt, meine Story ist weniger eine ich-hab-mit-5-Jahren-angefangen-Story und mehr eine ich-bin-da-mit-16-reingerutscht. Ich habe mich extrem verliebt in diese Kunstform und bin dabei geblieben. Und eben auch, durch diese eine Person. Denn: Das Stereotyp vom Tanz war für mich, dass es etwas sehr feminines ist. Und damit hatte ich eh ein Problem, eben wegen dieser Unsicherheit. Ich wurde ohnehin schon als „anders“ gelesen und damit hatten ich und meine Umwelt ein Problem - und dann in den augenscheinlichsten feministen Beruf zu gehen….Das war für mich schwer. Die Strumpfhose anziehen und so. Und diese eine Person, mein Lehrer hat mich geduldig dahin geführt und mich an die Hand genommen. Das war wichtig, denn er hat mir sowohl erklärt, warum feminin okay ist, als auch, dass Tanz nicht nur feminin ist.


Und wie hat dein Umfeld reagiert, insbesondere diejenigen, die dir das Gefühl gaben, nicht recht “zu passen”?


Nun ja, ich war schon immer interessiert an Kunst und war sehr kreativ. Die Unsicherheit ging eher von mir aus. Es gab nie eine Diskussion, ob es komisch sei, dass ich Ballett gemacht habe. Mein Umfeld war künstlerisch und das war OK. Aber die Dinge, die ich als Kind erlebt habe, haben mich dennoch getriggert. Ich glaube, dass Tanz und Ballett immer noch stereotyp behaftet sind.


Woran liegt das?


Das liegt auch an den leitenden Personen im Tanz und Theater. Beispielsweise sind die Vorstellungen im Ballett super binär und, v.a. Im Theater und Ballett. In der freien Szene ist das etwas anders. Aber in klassischen Häusern ist da wenig passiert, in den letzten 30 Jahren.


30 Jahre ist lang. Konkret ist das genauso lange, wie ich auf der Welt bin. Ja, ich bin auch 30. Aber es ist wahr: Die Tradition wird hochgehalten, es verändert sich wenig und nur langsam. Ich bin nicht zufrieden mit der Entwicklung. In anderen Bereichen der Gesellschaft passiert da schon mehr. Und dann gehst du ins Theater und da sind dann so basic Sachen, die nicht überdacht werden. Zum Beispiel werden Geschlechterrollenbilder reproduziert in Stücken, obwohl man das auch mal anders denken könnte.


Das ist irgendwie interessant, denn ich kann mir vorstellen, dass -obgleich so eine lange Tradition, sicherlich schon immer queere Personen im Ballett waren. Ja klar gab es schon immer Queers beim Ballett. Aber, das viele männliche Tänzer schwul sind, das ist ein Klischee und das stimmt überhaupt nicht. 2/3 einer Kompanie sind hetero, mindestens. Und, selbst wenn das anders wäre: Sexualität wird fast gar nicht thematisiert und irgendwie nur zwischen uns als Kolleg*innen. Jemand Neues kommt, dann wird darüber geredet, aber eher aus Eigeninteresse und nicht formal.


Dabei wirkt sich die eigene Identität doch bestimmt auf den Bezug zum Körper und zur Selbstdarstellung aus, oder?


Ja, aber gerade deshalb kann es auch für queere Personen besonders schwer sein: Im Tanz ist es ein großes Ding, dass du dich die ganze Zeit mit deinem Körper beschäftigst. Das ist super hart. Ich habe eigentlich ein gesundes Selbstvertrauen. Aber auch mir geht es manchmal nahe. Du stehst die ganze Zeit vor dem Spiegel. Und es geht so viel um deinen Körper.


Ich habe nie Unsicherheit über mein Gender gehabt, aber ich denke, dass es für junge Teenager, die da nicht so sicher sind, noch mehr Probleme kreieren kann.


Verstehe. Tänzer*innen sind also sehr exponiert. Ja genau. Und das in einem Umfeld, das nicht besonders fluide denkt. Tanz im Theater ist so binär. Das Training ist binär aufgeteilt, die Vorstellungen, die Rollen. Du siehst es schon auf den Webseiten: Da werden meist die Solistinnen von den Solisten getrennt aufgeführt. Es bedarf viel Reflexion, sich in diesem System zu bewegen und gleichermaßen achtsam dafür zu sein, wie problematisch das ist.


Klingt anstrengend für alle. Aber ins Besondere für diejenigen, die diesen Einordnungen nicht entsprechen. Ich finde das total interessant, denn nach außen hat Ballett für mich als Laiin irgendwie ein queeres Potenzial. Ich sehe da figurbetonte Kleidung, Strumpfhosen und andere eher feminin assoziierte Attribute an Männern.


Theoretisch stimmt das auch. Aber, wenn du im Beruf bist, dann ist es anders. Die Figur des Balletttänzers ist sehr maskulin. Du musst mehr oder weniger diesem Klischee entsprechen, denn dieses Klischee wird verlangt. Heißt: als Mann musst du muskulös sein, der Körper muss stark gebaut sein, was wiederum durch die Hebungen von Personen, die dann oft weiblich sind, legitimiert wird.


Ich habe mal eine Rolle getanzt in einer Spielzeit als Hexe. Ich hatte ein großes, pompöses Kleid. Die Hexe war aber böse, sie hat die Protagonistin auf den Boden gedrückt. Ich habe mich total unwohl mit diesem Narrativ gefühlt. Ich dachte: Wow, ich bin eine schwule Person im Kleid und transportiere das Narrativ, dass ein Mann im Kleid böse ist. Das war für mich schwierig, weil ich dafür bezahlt wurde, diese Rolle zu tanzen. Das war mein Job. Das war für mich schlimm, weil ich nach Wegen gesucht habe, das für mich anders zu framen. Ich war sehr verunsichert, inwiefern das hier gerade okay ist.


Und hast du das mit der Leitung besprochen?


Nein, leider nicht. Obwohl ich an dem Stück mit jemandem gearbeitet habe, wo ich sicher sagen hätte können, dass ich mich unwohl fühlte. Aber für mich war es wichtig, der kreativen Version dieser Person zu vertrauen und sie zu unterstützen. Ich denke, im Beruf sind wir angehalten, Sachen umzusetzen, ohne Feedback geben zu können. Zu sagen, wie wir uns fühlen oder was das Innerlich mit uns macht, ist nicht Standart, Leider.


Das liegt sicher auch daran, weil tanzende Personen im Theater wissen, dass sie oft sehr leicht zu ersetzen sind und damit wenig Macht gegenüber der Leitung haben.


Ich glaube, unsere Generation hat ganz andere Prioritäten als die aktuelle Leitung in Theatern, wir leben in einem anderen Zeitgeist. Ich nehme den Personen in leitenden Positionen das nicht übel, denn wir als neue Generation haben das Privileg, uns die Zeit zu nehmen und zu reflektieren. Meistens sind wir von den Medien sogar dazu angehalten dies zu tun. Früher hat man Probleme eher unter den Tisch gekehrt, denke ich.

Ich wünsche mir, dass, falls ich in so einer leitenden Position sein sollte, ich meine Augen und Ohren immer offen halte für alles, was gerade um mich passiert.


Schade, dabei hat Kunst doch auch die Möglichkeit, kulturelle Grenzen zu verschieben.


Ja, meistens sind die Dinge aber so gebaut, dass es keinen positiven Lerneffekt hat fürs Publikum. Es gibt aber auch Positivbeispiele: Das Zürcher Opernhaus und das Ballett dort machen es anders. Da gibt es nun eine Direktorin, die sich Gedanken macht, wie sie Sachen anders machen kann. Was genau machen sie denn anders?


Sie schreibt das Vortanzen zum Beispiel nur nach technischen Kriterien aus und nicht nach Gender.

Auch gibt es den ersten Tänzer, der in Spitzenschuhen tanzt. Er macht die Aufführungen auf dem gleichen technischen Niveau, das ist toll. Und da gibt’s einfach nur Solisten oder Solist*innen, Plural Form. Irgendwann müssen die anderen auch anfangen, sich zu ändern.


Kunst hat immer die Verantwortung, Dinge aus der Gesellschaft zu reflektieren. Wir machen noch immer Schwanensee - und das hat auch einen großen Wert. Aber neue Kreationen sollten mal das reflektieren, was draußen passiert. Und da braucht es neue Generationen.


Vielen Dank für das Gespräch, Sascha. Und danke, dass du Teil unserer Gender Spotlights bist.


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Gender Spotlights & Sascha Paar

Die Gender Spotlights sind eine Serie, in der wir jeden Monat eine andere Branche beleuchten und jeweils eine Person zur Bedeutung von Gender in diesem Arbeitsbereich befragen. Das Interview wurde von Rea geführt, wer Sascha erleben will, kann sich direkt per Mail an ihn wenden und hier ehr über ihn und Projekte erfahren, in denen er involviert ist: Europa Tanzprojekt Rail2dance Transit Club Reiz Kollektiv Clusters Dance Saschas Instagram Saschas LinkedIn



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