Bei der Arbeit Pronomen nennen: Sollte das zur Pflicht werden?
- Gastautor*in
- vor 11 Minuten
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Wir haben auf diesem Blog schon mehrfach über geschlechtersensible Sprache geschrieben, denn die ist für viele Menschen (nicht nur) im Arbeitsleben immer noch ungewohnt. Hier haben wir euch vorgestellt, wie ihr Pronomen korrekt verwenden könnt - und dieser Gastbeitrag erklärt, warum das wichtig ist.
„Mein Name ist ___ und meine Pronomen sind ___ .“ Diesen Satz haben wir wohl alle schon einmal gehört, wenn nicht sogar selbst ausgesprochen.
Was hat es mit dem Nennen von Pronomen auf sich?
Die Idee, präferierte Pronomen zu nennen, gründet auf der sich verbreitenden Feststellung, dass man Menschen ihre Pronomen nicht ansehen kann; eine feminine Person muss beispielsweise nicht gleich weiblich sein. Analog zu Vornamen werden daher auch Pronomen zunehmend als eine Konvention gesehen, welche zum Ausdruck bringen soll, auf welche Weise Menschen am liebsten angesprochen und adressiert werden wollen. (AK ProNa, 2015)
Bekannt ist dies vielleicht schon aus E-Mail-Signaturen, vor allem bei Firmen, welche diese Praxis in ihren Policies verankert haben. (Sendra et al., 2025) Aber auch aus Social-Media-Profilen oder Vorstellungsrunden in einem entsprechenden Umfeld. Besonders interessant bei Letzteren ist der Effekt, den der sogenannte Group Bias haben kann. So bestimmen die ersten sich vorstellenden Personen mit, wie einfach es ist, als zehnte Person noch oder gerade nicht auf die präferierten Pronomen hinzuweisen; je nachdem, wie die bisherige Gruppendynamik sich entwickelt hatte.
Allgemein ist erkennbar, dass präferierte Pronomen verstärkt im Zusammenhang mit dem eigenen (Vor-)Namen genannt werden, insbesondere auch im professionellen Kontext. Mittlerweile kennt so auch eine größere Anzahl von Amerikaner*innen Menschen, welche Trans* sind oder gender-neutrale Pronomen präferieren; 2021 waren es schon 42% bzw. 26%, im Vergleich zu nur 37% bzw. 18% im Jahr 2017. (Minkin & Brown, 2021)
Korrekte Pronomen tun gut - und verbessern das Arbeitsumfeld
Speziell in der deutschen Sprache enthalten selbst die unscheinbarsten Wörtchen – Artikel,
Adjektive und natürlich Pronomen – bereits ein grammatikalisches Geschlecht. Wenn man über Individuen spricht, bewegt sich dieses Geschlecht noch dazu in klaren Kategorien von „männlich“ und „weiblich“, obwohl soziales Geschlecht (gender) viel mehr als ein Spektrum aufgefasst werden sollte. (Bennecke, 2025) Es bleibt daher oft unbemerkt, dass wir mit unserer Sprache bereits anderer Leute Identitäten beschreiben und so unweigerlich auch mitbestimmen. (Kronschläger, 2022) Beachten wir deren präferierte Pronomen nicht, spricht man auch von „misgendering“. Speziell bei Trans* oder non-binary-Menschen, welche sich zu dem entsprechenden Geschlecht nicht kongruent fühlen, kann so auch „Gender Dysphoria“, also großes Unwohlsein, hervorgerufen werden.
Präferierte Pronomen anzuerkennen ist demnach ein wichtiger Bestandteil der sozialen Transition dieser Menschen. Es wirkt erwiesenermaßen bestärkend und stabilisierend, wenn man als das gewünschte Geschlecht gelesen und adressiert wird, wodurch man seine Identität ausleben kann (Sevelius, 2020). Eine Studie zeigt, dass das Wohlbefinden in entsprechenden Settings um bis zu 6% steigen kann, wenn Patient*innen aus Gender Minorities zuvor nach ihrer Identität gefragt werden. (Haider, 2018)
Speziell im Lern- und Arbeitsumfeld erachte ich dies als besonders wichtig, da Personen hier ohnehin ihre Zeit zu verbringen gezwungen sind. Auch in diesem professionellen Kontext sollte man daher ein inklusives Umfeld schaffen, in welchem alle sich wohlfühlen können, ohne sich verstellen zu müssen. (Fütty, 2020) Entsprechende Praktiken haben erwiesenermaßen einen positiven Einfluss auf die Arbeitsweise in Arbeitsumfeldern, die offenerer und damit diverser werden. Beispielsweise treffen diverse Teams in 87% der Fälle bessere Entscheidungen, und insgesamt sind in inklusiveren Firmen 15% Millennials mehr „empowered“. (Smith, 2015; Gomez & Bernet, 2019; Berkshire, 2023)

Wenn es so viele Vorteile hat... warum ist es dann nicht Pflicht, bei der Arbeit Pronomen zu nennen?
Zum einen ist, rein pragmatisch betrachtet, fraglich, inwiefern eine derartige rechtliche
Verpflichtung durchsetzbar wäre. Gerade in der aktuellen Zeit wird Menschen in bestimmten Teilen unserer Welt verboten, ihre Pronomen kundzutun, da damit eine „gender ideology“ verbreitet und perpetuiert würde. Bestimmte Teile unserer Gesellschaft sehen nicht ein, warum Menschen Pronomen für sich präferieren dürfen sollten, da Pronomen sich auf eine vermeintliche „biologische Realität“ bezögen und eben nicht „willkürlich“ festgesetzt werden könnten. (Shlemon, 2023; Bhuyian, 2025)
Doch abgesehen von Kreisen, welche die Differenzierung und Komplexität von biologischem und sozialem Geschlecht (sex & gender) negieren, gibt es auch folgende Szenarien:
So kann es sein, dass eine genderqueere Person noch nicht herausgefunden hat, welche Pronomen denn passend wären; die „alten“ Pronomen seien es jedoch nicht. Zwänge man diese Person, die in ihrer sozialen Transition noch nicht weit genug vorangeschritten ist, nun zur Entscheidung, Pronomen zu nennen, wären die „alten“ Pronomen eine Lüge über ihre Identität. Auch dies könnte Gender Dysphoria hervorrufen.
Ebenso kann es sein, dass eine Person die für sie passenden Pronomen bereits gefunden hat, jedoch (noch) nicht in einem entsprechenden Umfeld äußern möchte. Dies kann auf den Prozesscharakter der sozialen Transition zurückzuführen sein; eine Person möchte ihre Pronomen erst in privaterem Umfeld ausprobieren, bevor sie öffentlich kundgetan werden. Gerade mit Blick auf die aktuelle politische Entwicklung kann es aber auch rein strategische Hintergründe haben, u.a. bei der Arbeit Pronomen nicht zu nennen. So oder so würde man ein „Outing“ der Person forcieren, obwohl diese noch nicht dazu bereit war, was wiederum Unwohlsein hervorriefe.
Pflicht ist kontraproduktiv - Fragen ist besser
Insgesamt wird also ersichtlich, dass es viele bis ausschließlich Vorteile hat, die Nennung von Pronomen freiwillig – als Option – zu ermöglichen oder sogar dazu zu ermutigen. Diese kommen jedoch abhanden oder werden geradezu rückgängig gemacht, wenn freiwillig zu obligatorisch, die Option zur Pflicht würde.
Man sollte sich daher gar nicht primär fragen, ob eine Pflicht zur Pronomen-Nennung sinnvoll wäre – das ist ein relativ klares „Nein“. Unser Fokus sollte nicht darauf liegen, einen Paragrafen einzuführen und alle Probleme damit als behoben zu erachten.
Viel eher sollten wir als Gesellschaft unsere Energie darein investieren, wie wir den Umgang mit Pronomen innerhalb der Freiwilligkeit verbessern und optimieren können. Es sollten langfristige gesellschaftliche und normative Veränderungsprozesse angegangen werden, um eine integrative, inklusive und respektvolle Kultur im Umgang miteinander und speziell bezüglich Pronomina zu schaffen.
1. Was können wir tun, damit Menschen ermutigt werden, ihre Pronomen in einer
Vorstellungrunde zu nennen?
2. Was tun wir, damit sich dennoch niemand aufgrund von Gruppendynamiken dazu
gezwungen fühlt?
3. Wie gehen wir damit um, wenn die präferierten Pronomen einer Person von bestimmten
Menschen konsequent ignoriert werden?
4. Wie schaffen wir ein offeneres Umfeld für Fragen und Unklarheiten hinsichtlich der
Verwendung von (Neo-)Pronomina?
5. Wer sollte die Verantwortung für entsprechende Denkanstöße und Aufklärung tragen?
Betroffene? Unternehmen? Doch der Staat?
Ich denke, nur wenn Menschen wirklich überzeugt von einem Bestreben, intrinsisch motiviert und an einem bottom-up-Ansatz interessiert sind, können der angestrebte Effekt, die erwünschte Kultur und der Umgang miteinander ehrlich, langfristig und nachhaltig sein.
Und das erreichen wir gerade nicht mit einer simplen Pflicht, sondern mit Awareness, Bereitschaft und Respekt füreinander.
Wie schon John Irving schrieb, gilt: „Es steht dir frei, zu missbilligen. Aber es steht dir nicht frei, unwissend zu sein, den Blick abzuwenden [...]“
Dieser Text wurde von J. Vinmann im Rahmen des Seminars „Diversity im Lern- und Arbeitsumfeld“ verfasst, welches Rea Eldem, Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, am Hasso-Plattner-Institut leitet.
Quellen:
AK ProNa. (2015). "Mein Name ist ___ und meine Pronomen sind ___ ".
Bennecke, L. (2025). XY oder XX – ist es so einfach? Spektrum der Wissenschaft.
Berkshire. (2023). The Importance of DEI: How to Make the Business Case for DEI. Berkshire Blog.
Bhuyian. (31. Januar 2025). US federal workers ordered to remove pronouns from email
signatures. The Guardian.
Fütty. (2020). Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Galanes, P. (29. April 2021). Do I Really Need to State My Pronouns? NY Times.
Gomez, & Bernet, P. (2019). Diversity improves performance and outcomes.
Haider, A. (7. Dezember 2018). Assessment of Patient-Centered Approaches to Collect Sexual Orientation and Gender Identity Information in the Emergency Department. National
Institutes of Health.
Irving, J. (1990). Gottes Werk und Teufels Beitrag. Zürich: Diogenes Verlag AG.
Kronschläger, T. (2022). Entgendern nach Phettberg. Aus Politik und Zeitgeschichte.
Minkin, R., & Brown, A. (27. Juli 2021). Rising shares of U.S. adults know someone who is
transgender or goes by gender-neutral pronouns. Pew Reserach Center.
Sendra, C., Lessley, K., & Overby, S. (2025). Recognizing Employees' Gender Pronouns Is
Important. https://www.sap.com/germany/insights/viewpoints/respecting-employees-pronouns-important.html
Sevelius. (2020). Gender Affirmation through Correct Pronoun Usage. National Institutes of
Health.
Shlemon, A. (6. Juni 2023). Problems with Preferred Pronouns.
Smith, C. (2015). The Millennial Influence. Deloitte University, S. 10-15.