Fehlerfreundliche Arbeitskultur - Mit Kritikfähigkeit zu Antidiskriminierung
- Luka Özyürek
- vor 4 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Kennst du diese Situation? Du machst Small Talk und plötzlich ist dein Gegenüber sauer, weil dein nett gemeinter Kommentar diskriminierend wirkte. Was dann folgt, ist meistens Scham, Unsicherheit und oft auch Abwehr. Warum stellt diese Person sich so an, wenn es doch gar nicht böse gemeint war? Passiert das öfter oder beobachtest du solche Situationen auch bei anderen Kolleg*innen, fühlt es sich vielleicht sogar so an, als ob du es in Sachen Antidiskriminierung nur falsch machen könntest. Wir sehen das auch in unseren Workshops. Immer wieder fragen Teilnehmende: Ich will niemanden diskriminieren, aber woher weiß ich, was okay ist und was nicht? Eine gute und wichtige Frage - aber vielleicht die falsche.
Nobody’s perfect - wichtiger ist der richtige Umgang
Denn was Menschen als unangenehm, beleidigend oder diskriminierend empfinden, ist genauso vielfältig wie die Menschheit selbst. Klar, es gibt eine Reihe von Dingen, die inzwischen bei allen angekommen sein sollten - dass anzügliche Bemerkungen am Arbeitsplatz nichts zu suchen haben, zum Beispiel, oder dass das “N-Wort” rassistisch ist. Aber irgendwann kommt die Allgemeingültigkeit an ihre Grenzen, und seien wir ehrlich, es ist nicht realistisch zu erwarten, dass jeder Mensch jede mögliche Nuance jedes Wortes zu jeder Zeit auf dem Schirm hat. Deswegen würden wir behaupten: Wir sollten uns weniger darauf fokussieren, alles richtig machen zu wollen, und stattdessen einen konstruktiven Umgang mit Fehlern lernen.
Warum es schwierig ist, Kritik anzunehmen
Das ist nicht immer einfach. Niemand mag es, Fehler zu machen oder andere Menschen unabsichtlich zu verletzen - passiert es doch, schämen wir uns, zweifeln vielleicht an uns selbst, wollen uns rechtfertigen. Beim Thema Antidiskriminierung kommt hinzu, dass es schwer fallen kann, Kritik nachzuvollziehen. Diskriminierung und ganz besonders Mikroaggressionen können auf Menschen, die nicht selbst betroffen sind, wie eine Kleinigkeit wirken. “Stell dich doch nicht so an”, ist dann oft die Reaktion. Oder eben: “Man darf wohl gar nichts mehr sagen.” Wer sich selbst als freundlichen, respektvollen, schlauen Menschen begreift, für den löst es kognitive Dissonanz aus, scheinbar als unfreundlich, respektlos oder unwissend wahrgenommen zu werden. In anderen Worten, unser Selbst- und Weltbild wird angegriffen - und das trifft uns so im Kern, dass wir lieber dicht machen und die Kritik abwehren, statt in Kauf zu nehmen, dass sie an unserem Selbstverständnis kratzt. Diesen Reflex gilt es zu durchbrechen.
Ich habe was Diskriminierendes getan - und nun?
Was kannst du also tun, wenn du auf eine diskriminierende oder verletzende Aussage angesprochen wirst?
Du bist nicht (nur) dein Handeln. Atme kurz durch und rufe dir vor Augen, dass nicht du als Mensch kritisiert wirst, sondern etwas, das du (mit besten Absichten) getan hast. Allein das reicht manchmal, um die kognitive Dissonanz zu mildern, denn nun bedeutet die Kritik nicht, dass etwas mit dir nicht stimmt - sondern nur, dass du etwas nicht wusstest. Und das ist total menschlich.
Kritik als Chance. Somit wird Kritik von einem Angriff zu einem Angebot: Du hast die Möglichkeit, etwas dazuzulernen! Und das ist immer wertvoll.
Vermeide die Defensive. Selbst wenn du die Kritik (noch) nicht nachvollziehen kannst: Vermeide den Reflex, dich zu rechtfertigen. Konstruktiver ist es, dich kurz zu entschuldigen, für den Hinweis zu bedanken, und zu versuchen, das Problem zu verstehen. Du kannst auch nachfragen, wenn dir nicht klar ist, was du falsch gemacht hast.
Do your research. Denk an dieser Stelle aber auch daran, dass viele marginalisierte Menschen sich ständig erklären müssen und nicht immer die emotionale Energie aufbringen können, nach einer (noch so unbeabsichtigten) Verletzung auch noch Aufklärungsarbeit zu leisten. Deshalb kann es sinnvoller sein, erstmal selbst nachzuforschen. Such z.B. im Internet nach “Warum ist (der verwendete Begriff) sexistisch?” Hilft das nicht weiter, bitte die betroffene Person mit etwas Abstand um ein Gespräch.
Vermeide das “tone argument”. Das bedeutet: Auch wenn Kritik auf eine Weise vorgetragen wird, die dir unangemessen aggressiv oder unfreundlich vorkommt, kann sie valide sein. Das heißt nicht, dass du persönliche Angriffe einfach ertragen musst; du darfst und solltest dich aus solchen Situationen rausziehen. Mit der Kritik solltest du dich aber trotzdem auseinandersetzen. Ruf dir vor Augen, dass scheinbar “übertriebene” Reaktionen oft das Resultat regelmäßiger Diskriminierung sind und dein Kommentar vielleicht einfach der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Offenheit statt Overthinking. Letztendlich bedeutet Kritikfähigkeit nicht, jede Kritik einfach anzunehmen. Wichtiger ist es, sich ernsthaft und ergebnisoffen mit der Kritik auseinanderzusetzen. Manchmal kann das bedeuten, es einfach anders zu sehen - solange es auf Auseinandersetzung statt Abwehrreflex beruht, ist auch das okay.

Fehlerfreundliche Arbeitskultur auch strukturell unterstützen
Was wir allerdings bei aller individuellen Kritikfähigkeit nicht vergessen sollten: Ein konstruktiver Umgang mit Mikroaggressionen und unabsichtlicher Diskriminierung kann nur dann wirklich funktionieren, wenn die Unternehmenskultur das unterstützt.
Wie kann das aussehen? Insbesondere Führungskräfte sind gefragt, wenn es darum geht, eine fehlerfreundliche, wohlwollende Arbeitskultur zu schaffen.
Regelmäßiges konstruktives Feedback. Feedback-Prozesse hat inzwischen nahezu jedes Unternehmen - aber oft sind sie vom Arbeitsalltag entkoppelt und wenig konstruktiv. Ein jährliches Feedbackgespräch ist schön und gut; wenn es aber in starke Hierarchien und intransparente Kommunikation eingebettet und vielleicht sogar an Gehaltsverhandlungen geknüpft ist, dient es oft mehr der Selbstdarstellung als tatsächlicher Reflexion. Besser: regelmäßige kürzere Feedback-Sessions mit standardisierten Fragen, die sowohl Erfolge als auch Herausforderungen reflektieren. Das lässt Raum, auch kleinere Fehler zu thematisieren und sie als Lernmoment zu begreifen, der keine negativen Konsequenzen nach sich zieht. Langfristig schafft das Vertrauen und Sicherheit.
Fehler feiern. Du kannst sogar noch einen Schritt weitergehen und Raum allein zum Teilen von Fehlern schaffen. Sei es der “Fuck-up Friday” oder eine “Was haben wir gelernt?” Runde: Wenn alle Teammitglieder Fehler und Herausforderungen teilen, kann das nicht nur Ängste nehmen, sondern den Lerneffekt fördern und das Teamgefühl stärken.
Vorbild sein. Führungskräfte geben den Ton im Unternehmen an, das zeigen Studien sehr deutlich. Ganz besonders gilt das, wenn es um Accountability geht, also die Fähigkeit, zu dem eigenen Handeln - inklusive Fehlern - zu stehen und Verantwortung zu übernehmen. Wer als Führungskraft Kritik ernsthaft annehmen und Fehler eingestehen kann, setzt ein starkes Zeichen für Fehlerfreundlichkeit.
Feedback einfordern. Aber Achtung, Stolperstein: Vielen Führungskräften ist nicht bewusst, dass es für ihre Mitarbeitenden schwierig sein kann, Kritik zu äußern, gerade wenn es um eher emotionale, subjektive Themen geht. Sie begreifen sich als einen Menschen, zu dem Mitarbeitende mit allen Belangen kommen können - sehen aber nicht, dass diese das oft ganz anders empfinden. Es kann helfen, Feedback ganz explizit einzufordern, notfalls sogar anonym, und immer wieder zu zeigen, dass es wertgeschätzt und mitgedacht wird.
Klarheit schaffen. Wie schon gesagt, gibt es wenige allgemeingültige Antworten, wenn es um Diskriminierung und Mikroaggressionen geht. Dennoch hilft es, Mitarbeitenden Hilfestellungen an die Hand zu geben: Sei es ein Code of Conduct, der zwischenmenschliches Verhalten regelt, Leitlinien zu inklusiver Sprache, Handreichungen zu Diskriminierung… All das gibt Sicherheit, was erwartet wird und idealerweise auch, welche Konsequenzen zu befürchten (oder eben nicht zu befürchten) sind. Umgekehrt gibt es Betroffenen eine solide Grundlage, um erlebte Diskriminierungen anzusprechen und Verbesserungswünsche zu äußern.
Dranbleiben ist gefragt: Fehlerfreundlichkeit braucht Zeit
Fehlerfreundliche Arbeitskultur ist ein Langzeitprojekt. Gerade, wenn starre Hierarchien, autoritäre Führung und intransparente Prozeduren schon länger eingefahren sind, braucht es Zeit, um sie zu etablieren. Aber jede einzelne Person kann dazu beitragen, dass es für Betroffene von Diskriminierung einfacher wird, ihre Erlebnisse anzusprechen, und für die, die kritisiert werden, diese Kritik offen und wohlwollend anzunehmen. Je besser das gelingt, desto inklusiver wird die Unternehmenskultur - ganz nebenbei.
Wenn du eure Fehlerkultur verbessern möchtest und Hilfestellung brauchst, um z.B. eure Feedbackprozesse zu überarbeiten oder einen vielfaltssensiblen Code of Conduct aufzusetzen, sind wir gerne für dich da. Hier findest du nähere Informationen.