Hand aufs Herz: Wer hat schon mal so etwas gesagt wie „Wir brauchen mal einen starken Mann, um das zu tragen“? Oder „Schwarze Menschen können so gut tanzen“? Oder vielleicht „Echt inspirierend, dass du das trotz deiner Behinderung schaffst“? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass hier jede*r die Hand heben kann - und vielleicht ähnliche Kommentare auch schon selbst abbekommen hat. Denn Mikroaggressionen sind (nicht nur) am Arbeitsplatz alltäglich. Sie sind die kleinen Kommentare, Blicke, Berührungen, die ganz beiläufig passieren, aber ein ungutes Gefühl hinterlassen können. Dabei ist der Begriff „Mikroaggressionen“ ist ein bisschen irreführend, denn diese kleinen Spitzen müssen gar nicht aggressiv klingen und sind häufig sogar sehr nett gemeint. Warum stellen sie also ein Problem dar?
Mikroaggressionen spiegeln Bias
In Mikroaggressionen äußern sich Biases und Vorurteile auf häufig ganz subtile Weise. „Wow, dein Deutsch ist aber gut!“ klingt erstmal nett, meint aber eigentlich „Jemand, der aussieht wie du, kann in meinen Augen nicht deutsch sein.“ „Sagt jemand zu einer trans Frau: „Ich hätte nie gedacht, dass du keine richtige Frau bist!“ ist das sicher positiv gemeint, es schwingt aber auch mit: „Trans Frauen sind in meinen Augen keine richtigen Frauen.“ Das lässt sich beliebig fortführen, denn unsere (unbewussten) Voreingenommenheit spiegeln sich immer auch darin, wie wir mit anderen Menschen interagieren.
Mikroaggressionen können Betroffene zermürben
Nun betrifft das, wie gesagt, alle von uns gelegentlich. Warum sollten wir uns also mit Mikroaggressionen am Arbeitsplatz beschäftigen, wenn sie offenbar unumgänglich sind? Ganz einfach: Eine Mikroaggression alleine ist kurz irritierend und dann schnell wieder vergessen. Aber für Menschen, die auf die eine oder andere Weise von der gesellschaftlichen Norm abweichen, kommt eine Mikroaggression selten allein. Sie erleben diese Spitzen täglich, vielleicht sogar mehrmals täglich. Auf dem Weg zur Arbeit, im Büro, beim Einkaufen, von Kolleg*innen und Fremden und sogar Freund*innen. Das zermürbt auf die Dauer - insbesondere, weil es häufig nicht als eine Form von Diskriminierung erkannt und anerkannt wird. Statt dessen hören Betroffene oft „Stell dich nicht so an“ oder „Ich habe es doch nicht böse gemeint.“
Warum sind Mikroaggressionen am Arbeitsplatz ein Problem?
Dabei zeigt sich in unserer Arbeit immer wieder, dass Mikroaggressionen am Arbeitsplatz ein viel größeres Problem sind als explizite Diskriminierung. Denn während Diskriminierung meist früher oder später als solche erkannt wird, vergiften Mikroaggressionen häufig still und leise über lange Zeit das Betriebsklima. Denjenigen, die sie begehen, fallen sie nicht auf, weil sie es nicht böse meinen - und diejenigen, sie sie erleben, wollen keine Spielverderber*innen sein und sprechen sie nicht an. Auf die Dauer führt das zu Vertrauensverlust und Demotivation.
Drei Fragen gegen Mikroaggressionen
Leider gibt es kein Patentrezept, um Mikroaggressionen komplett zu vermeiden, zumal sie immer auch subjektiv sind. Was eine Person harmlos findet, ist für eine andere verletzend und umgekehrt. Es hilft, sich mit den Anliegen marginalisierter Menschen auseinanderzusetzen und aktiv zu lernen, welche Mikroaggressionen sie erleben. Und es hilft, sich selbst zu hinterfragen:
Würde ich diesen Kommentar auch gegenüber einer Person machen, die nicht zu einer bestimmten Gruppe gehört? Welchen Smalltalk würde ich z.B. mit Hans Müller machen, statt ihn, wie Mehmet Öztürk, für sein Deutsch zu loben?
Wie würde ich mich fühlen, wenn jemand dasselbe zu mir sagen würde? Warum?
Wie ist meine Beziehung zu meinem Gegenüber? Kenne ich die Person gut genug, um abzuschätzen, ob sie meine Absicht hinter dem Kommentar versteht? Wie viel Macht habe ich über sie und kann sie frei sagen, wenn ihr mein Kommentar unangenehm ist? (Ganz besonders wichtig für Führungskräfte!)
Achtsamkeit ist das beste Mittel gegen Mikroaggressionen
Das bedeutet nicht, dass wir jedes Wort fünfmal im Mund herumdrehen müssen, aber wer sich diese Fragen bewusst regelmäßig stellt, schult die eigene Empathie und lernt mehr darüber, was für andere Menschen unangenehm oder verletzend sein kann. Und diese Achtsamkeit ist das beste Mittel gegen Mikroaggressionen.