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New Work braucht Feminismus: Warum Methoden nicht genug sind

  • Autorenbild: Rea Eldem
    Rea Eldem
  • vor 2 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit

Dauerkrise, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit


Klimakrise, Kriege, politische Unsicherheit, wirtschaftlicher Druck – die Welt fühlt sich seit Jahren an wie ein Dauerzustand der Krise. Kaum ist eine Herausforderung halbwegs bewältigt, rollt schon die nächste Welle an. Diese permanente Instabilität prägt nicht nur Gesellschaft und Politik, sondern auch Organisationen und ihre Arbeitskulturen.


Viele Teams kämpfen mit einer wachsenden Komplexität, mit sich ständig verändernden Rahmenbedingungen und Erwartungen. Sicherheit gibt es kaum noch, dafür umso mehr Unsicherheit und Orientierungslosigkeit.


Die naheliegende Frage lautet: Was hilft?Wie können wir handlungsfähig bleiben, wenn sich die Welt um uns herum ständig verschiebt? Wie können wir als Organisationen reagieren – und vielleicht sogar gestalten?


Empowerment durch Methoden – oder ist doch nur eine Illusion?


Eine der gängigen Antworten der letzten Jahre lautet: Neue Tools und Methoden. Design Thinking, Scrum, OKRs, agile Frameworks oder Purpose-Workshops – sie alle versprechen, Teams zu befähigen, selbstbestimmter zu arbeiten, kreativ zu denken und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.Die Idee dahinter: Wenn Menschen das richtige Werkzeug in der Hand haben, können sie auch mit Unsicherheit umgehen und Veränderungen aktiv gestalten.


Und tatsächlich können diese Ansätze genau das leisten – zumindest theoretisch. Sie fördern Kreativität, ermöglichen Kollaboration und geben einen Rahmen, in dem Neues entstehen kann. Sie können ein Gefühl von Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit erzeugen – gerade dann, wenn die äußere Welt chaotisch wirkt.


Doch in der Praxis zeigt sich häufig: so einfach ist das leider nicht. Statt Empowerment erleben viele Teams Überforderung. Statt Orientierung entsteht Frustration. Und statt Zukunftskompetenz entwickeln sich Routinen, die nach Innovation aussehen, aber kaum Veränderung bewirken.


New Work braucht Feminismus: Warum Methoden nicht genug sind
New Work braucht Feminismus: Warum Methoden nicht genug sind

Das liegt nicht nur an falscher Anwendung oder mangelnder Erfahrung. Es liegt auch daran, dass viele dieser Ansätze die Komplexität der Welt, in der wir arbeiten, nicht wirklich abbilden (können). Sie gehen oft von vereinfachten Annahmen aus, setzen auf Gleichheit dort, wo Unterschiede zählen, und ignorieren Machtverhältnisse, die darüber entscheiden, wer gehört wird – und wer nicht.


Feministische Kritik: Was New Work oft übersieht


Hier setzt eine feministische Kritik an. Denn so progressiv viele dieser Methoden auf den ersten Blick wirken – sie sind nicht automatisch geeignet, die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit mitzudenken.

Viele der Ansätze und Methoden bemühen sich, sicherzustellen, dass alle Menschen gleich sicher sprechen, gleich viel Raum bekommen, gleich gut ihre Perspektive einbringen können. Bei Design Thinking gibt es zum Beispiel Time Boxing, der Redeanteil wird beispielsweise nach Brainstorming Sessions gleich verteilt . In der Theorie ist das super, um zu verhindern, dass Einzelne ganz viel Zeit klauen. In der Praxis gestaltet sich das aber schwerer. Nur weil alle gleich viel Zeit haben, heißt das noch lange nicht, dass das Wort von jeder Person gleich viel zählt. Und genau hier entstehen unsichtbare Ausschlüsse.


Machtdynamiken, unter anderem gespeist von Hierarchien und sozialen Faktoren, haben Folgen. Wenn ein Workshop von Personen mit ähnlichem Hintergrund, Alter, Geschlecht, Erfahrungen, Persönlichkeiten oder anderen Identitätsdimensionen dominiert wird, entstehen Lösungen, die aus dieser begrenzten Erfahrung gedacht sind. Und wenn bei der Stakeholderanalyse immer dieselben Gruppen auftauchen, fehlen andere Perspektiven. Wenn die Methodenlogik nicht hinterfragt wird, verfestigt sie bestehende Hierarchien – sie baut sie nicht ab.


Innovation ohne Perspektivenvielfalt ist keine Innovation


Das zeigt sich nirgendwo so deutlich wie bei Innovationen, die an den Bedürfnissen ganzer Bevölkerungsgruppen vorbeigehen. Ein bekanntes Beispiel: Pinky Gloves – ein vermeintlich innovatives Produkt „von Männern für Frauen“, das an realen Bedürfnissen vorbeidesignt wurde und dabei stereotype Annahmen über Menstruation reproduzierte. Solche Beispiele sind kein Einzelfall, sondern Symptom einer Gender Innovation Gap. Sie entsteht, wenn die Perspektiven marginalisierter Gruppen nicht einbezogen werden – nicht, weil es an Kreativität fehlt, sondern weil strukturell ausgeschlossen wird.


Methoden sind nur so gut wie ihre Haltung


Das bedeutet nicht, dass Methoden wertlos sind. Im Gegenteil: Sie können mächtige Hebel sein – wenn sie bewusst gestaltet werden. Aber Standardprozesse sind keine Allheilmittel. Sie müssen sich an die unterschiedlichen Realitäten der Menschen anpassen, die an ihnen teilnehmen.


Drei Stellschrauben sind dabei besonders wirkungsvoll:


  • Check-ins und Check-outs als Werkzeug für Teilhabe

Kleine Interventionen wie ein gemeinsamer Einstieg oder Abschluss können dafür sorgen, dass alle Stimmen gehört werden. Sie eröffnen Raum für unterschiedliche Bedürfnisse und schaffen psychologische Sicherheit. Mit einer Diversity-Perspektive wird daraus mehr als eine Aufwärmübung – es wird eine Praxis der Sichtbarkeit.


  • Stakeholder-Research diverser denken

Wer Innovation will, muss wissen, für wen er sie gestaltet. Doch Stakeholder-Analysen sind oft auf die „üblichen Verdächtigen“ beschränkt. Eine erweiterte Analyse, die soziale Positionierungen, strukturelle Benachteiligungen und Machtasymmetrien einbezieht, deckt nicht berücksichtigte Perspektiven auf – und eröffnet neue Lösungsräume.


  • Perspektivwechsel methodisch verankern

Brainstormings profitieren davon, wenn Teams gezielt aus ungewohnten Perspektiven denken. Statt immer wieder Elon Musk oder Steve Jobs als Inspirationsfiguren heranzuziehen, lohnt es sich, bewusst andere Rollenmodelle zu wählen – etwa eine trans Arbeitnehmer*in, eine alleinerziehende Mutter, eine Person mit Behinderung. Das verändert nicht nur Ideen, sondern auch die Fragen, die gestellt werden.


Prozesse machtkritisch gestalten – von der Idee bis zur Entscheidung


Vielfalt darf nicht nur am Ende als Ziel stehen („Wir wollen ein diverses Team“), sie muss den Weg selbst prägen. Das bedeutet, entlang des gesamten Innovationsprozesses kritische Fragen zu stellen:

  • Wer definiert wie, was ein „relevantes Problem“ ist?

  • Welche Stimmen fehlen bei der Ideenentwicklung?

  • Nach welchen Kriterien priorisieren wir?

  • Für wen verbessern sich Dinge durch unsere Ansätze – und für wen verschlechtern sie sich vielleicht sogar?


Solche Fragen sind die Grundlage dafür, dass neue Arbeitsweisen halten, was sie versprechen: bessere Zusammenarbeit in unsicheren Zeiten und bessere Antworten auf komplexe Herausforderungen.


New Work braucht Diversity – und Diversity braucht New Work


Umgekehrt gilt: Auch Diversity-Arbeit profitiert von New Work. Allzu oft bleibt sie reaktiv, symbolisch oder top-down. Methoden aus der Innovationswelt – Nutzer*innenzentrierung, iteratives Arbeiten, Co-Creation – können helfen, sie praxisnaher und wirksamer zu gestalten.


  • Empathie macht Diversität greifbar.

  • Experimentieren senkt die Angst vor Fehlern.

  • Kollaboration verschiebt Machtverhältnisse.

  • Prozessorientierung zeigt Wege statt nur Ziele.


Über Strukturen hinaus denken – ohne zu verzweifeln


Wer Ursachen wirklich verstehen will, stößt schnell auf die großen Linien: Sexismus, Rassismus, Klassismus, Ableismus. Diese Strukturen lassen sich nicht allein durch einen Workshop abschaffen. Aber wir können im Arbeitsalltag Räume gestalten, die sie nicht reproduzieren – in Meetings, in Entscheidungsprozessen, bei Ressourcenverteilung oder Produktentwicklung.


Dabei geht es nicht um Perfektion, sondern um konsequente, bewusste Schritte. Um das Anerkennen von Komplexität, ohne sich von ihr lähmen zu lassen.


Methoden und Awareness gehören zusammen – New Work braucht Feminismus


An diesem Punkt machen wir bei IN-VISIBLE immer wieder eine zentrale Beobachtung: Organisationen fragen uns meist entweder für Methoden-Workshops („Könnt ihr unseren Innovationsprozess begleiten?“) oder für Awareness-Trainings („Könnt ihr einen Workshop zu Bias oder Diskriminierung machen?“). Diese Trennung ist nicht besonders sinnvoll.


Denn: Awareness gehört in Methoden hinein, sonst reproduzieren Prozesse bestehende Ausschlüsse. Und Methoden können Awareness stärken, weil sie Reflexion, Perspektivwechsel und Teilhabe in den Arbeitsalltag übersetzen. Beides gehört untrennbar zusammen.

Gerade jetzt – wo viele Organisationen gezwungen sind, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – ist dieser Zusammenhang entscheidend. Zukunftsfähigkeit entsteht nicht durch mehr Tools oder hippe Methoden. Sie entsteht durch bewusste Prozesse, die soziale Realität ernst nehmen und Teilhabe strukturell verankert.


Fazit: Die Zukunft der Arbeit soll für alle funktionieren


New Work braucht Feminismus. Und Feminismus braucht New Work. Nur wenn wir beides zusammendenken, wird aus „neu“ auch „nachhaltig“ – sozial, ökonomisch und kulturell.



Über IN-VISIBLE


IN-VISIBLE ist eine Agentur für gleichberechtigte Arbeitskultur. Wir unterstützen Organisationen dabei, Arbeitskultur inklusiv zu gestalten — mit Trainings, Beratung und Facilitation. Schreib uns unter hi@in-visible.berlin.


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