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People Who Inspire Us: Dr. Michaela Dudley und Race Relations

Meet Dr. Michaela Dudley. Heute stellen wir euch Michaela vor. Sie beschreibt sich selbst als “Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel”. So heißt auch eines ihrer Kabarettlieder und ihre Kolumne bei der Taz. Sie, eine Berlinerin mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Kolumnistin, Kabarettistin, Juristin, Keynote-Rednerin, trans* Frau, Queer-Feministin und Blacktivistin. Im Grunde genommen verkörpert sie der Inbegriff der Intersektionalität.


Michaela hat 1961 das „Licht der Welt im Schatten der Freiheitsstatue“ erblickt und Deutschland früh zu Zeiten der Mauer miterlebt. Diese Erfahrungen haben sie sehr stark geprägt, da sie, soweit sie zurückdenken kann, immer wieder Mauern einreißen sowie durchbrechen musste. Hierfür brauchte Michaela viel Aspiration, aber auch – wie sie sagt - viel Aspirin, da es eine mentale Belastung ist. Sie sieht sich allerdings auch als Brückenbauerin, die versucht Abstände zu verringern. Sie beschreibt sich als intersektionale Aktivistin, da sie selbst Diskriminierung aus so vielen verschiedenen Richtungen erlebt, aber auch weil ihr ein monothematischer Ansatz zu Diskriminierung nicht ausreicht. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben “Race Relations”, ein Essay Band zu Rassismus.


Wir erleben in unserer Arbeit oft, dass manche Menschen sich schwer tun einen Zugang zum Anti-Diskriminierungsdiskurs zu finden. Was macht dein Buch anders?


"Mein Buch ist durchaus anders. Ich bin zwar zweisprachig aufgewachsen, mir war es allerdings wichtig, mein Buch auf Deutsch zu verfassen, um mit meinen Essays ein primär deutschsprachiges Publikum zu erreichen. Meine Intention war es, mit dem Bedürfnis einer Informationsverpflichtung im deutschen Kontext diese Themen aufgreifen. Mein Buch hat einen ganz andren Ansatz als manche anderen deutschen Bücher zum Thema Rassismus. Hierfür muss ich ein wenig Hintergrundwissen einfließen lassen. Kurz nach der Ermordung von George Floyds am 25.05.2022 wurden insbesondere zwei deutschsprachige Restseller plötzlich zu Bestsellern. Ihre afrodeutschen Autorinnen wurden zu Vertreterinnen und Schlüsselfiguren der Schwarzen Community in Deutschland. Meines Erachtens kratzen ebensolche Bücher an der Oberfläche entlang, anstatt dass sie tief in das Fundament der Problematik hineintauchen. Zudem brauchen wir im Antirassismusbereich keinen Personenkult um einzelne Autorinnen der Szene, sondern Persönlichkeiten, die sich mit ihren Erfahrungen, Einschätzungen, Wutreden und Empfehlungen einbringen und sichtbar sind. Als BIPoC Frau gönne ich afrodeutschen Autorinnen natürlich den Erfolg – denn keine von uns hat es leicht - aber inhaltlich kritisiere ich unerbittlich ihren Ansatz. Meiner Meinung nach wird in dieser Art von Büchern den meist Wohlwollenden weißen vorgegaukelt, dass der Antirassismus Wellness sei. Dies macht das Produkt massentauglich, was natürlich für die Vermarktung gut ist, aber das macht es im Hinblick auf den Antirassismus gefährlich. Denn Antirassismus ist nicht Wellness, sondern wie ich es nennen würde ein Wutcamp. Der Inhalt dieser Bücher wird als Verhaltenskodex verkauft, sodass es als Verhaltensgrundlage à la “Tu dieses, tu jenes nicht” gilt. Die Bücher kratzen allerdings nur an der Oberfläche. Die Medien wiederum stürzen sich auf solche Bücher, weil sie leicht verdaulich sind und unterstützen den erwünschten Eindruck, dass der Rassismus nur noch individuell erfahren wird. Andere Autor:innen beschäftigen sich mit dem institutionellen Rassismus und äußern ihre Meinung dazu, dies spielt allerdings keine zentrale Rolle.


“Mein Buch hingegen befasst sich nicht nur mit Verhaltensregeln, sondern vielmehr mit bestehenden Verhältnissen in der Gegenwart. Aus diesem Grunde war es mir wichtig, dass das im Titel widergespiegelt wird. Mein Buch soll vermitteln, dass es sich um strukturellen Rassismus handelt, mit dem wir es zu tun haben. Wichtig ist mir auch der historische Aspekt. Ich berichte aus 60 Jahren Lebenserfahrung als Schwarze Person in einer weißen Dominanzgesellschaft. Ich habe bereits die Jim Crow Gesetze erlebt sowie den Aktivismus von Martin Luther King und Malcom X und marschierte zur Befreiung von Angela Davis, die mich alle geprägt haben. Außerdem bin ich als queeres Kind groß geworden und fiel deshalb auch aus der Norm. Wer aus dem Rahmen fällt, hat mehr Platz -- aber auch mehr Platzwunden. Dadurch hatte ich natürlich auch eine größere Angriffsfläche. Wiederum haben mich alle Massen-Proteste auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg, für Frauen- und Bürgerrechte geprägt. Außerdem zeige ich mit dem Beispiel der Nationalsozialisten, die sich die Jim Crow Gesetze zum Vorbild genommen hatten, dass der Rassismus nicht nur eine amerikanische Haltung ist. Dieses Wissen haben viele junge deutsche Autor:innen nicht und deshalb gehen ihre Bücher auch nicht richtig in die Tiefe und können auch nicht fundierte Informationen zu diesem Thema liefern. Der historische Anteil in meinem Buch ist eng verwoben mit meinen persönlichen Erlebnissen, was dieses Buch so besonders für mich macht. Darüber hinaus ist mein Buch auch lyrisch und nicht lediglich ein Sachbuch mit unterschiedlichen Ursprungsquellen. Was spräche dagegen, dass sich ein Buch als literarisches Werk versteht?”

Dein Buch enthält Essays zum Thema Rassismus, auch im Arbeitsalltag. Welche Themen sind in Bezug auf Rassismus im Arbeitsalltag für dich besonders relevant?


“Sowohl in meinem Buch, als auch in meinen Workshops befasse ich mich mit Phänomen wie Othering, Unconscious Bias und Inklusion, weil es darauf ankommt, ob Menschen, die anders sind – aufgrund ihrer Hautfarbe oder Genderidentität – wirklich Mitsprache im Arbeitsalltag genießen oder nur als Token1 da sind. Wenn ich über diese Themen berichte, kläre ich über Alltagsrassismus am Arbeitsplatz auf. Dieser ist meist eher subtil und nicht so offensichtlich, wie beispielsweise die Verwendung des N-Worts. Mein Ansatz ist, klarzustellen, dass es bei Diskriminierung nicht darauf ankommt, wie etwas Gesagtes gemeint ist, sondern wie es beim Empfangenden der Nachricht ankommt. Ich möchte mit meinem Buch das Bewusstsein erhöhen, sensibilisieren und aufzeigen, was für ein Übel geschieht, wenn die Menschen nicht über ihre eigenen Handlungen und ihre verwendete Sprache nachdenken. Ich versuche auch Situationen aufzuzeigen, bei denen die Leser:innen die Seite der Antagonist:innen betrachten können. Vor allem will ich aber, dass die Leserschaft durch mein Buch die Welt mit meinen Augen sieht und sie dadurch emanzipiert wird, indem sie dann eigenständig über die unterschiedlichen aufgeführten Thematiken nachdenkt.”

Wie du bereits in deinem Vorwort von “Race Relations” schreibst, gibt es viele Leute, die sich nicht mit ihren Privilegien auseinandersetzen wollen oder gar diese nicht verlieren möchten. Diese Beobachtung machen wir auch in Bezug auf Gendergerechtigkeit. Wie holen wir diese Leute ab?


“Dieses Festhalten an Privilegien ist ein Reflex, ein Instinkt. Es ist wie “Wir überleben länger, als die anderen, wenn wir mehr als sie haben. Diese Mentalität ist mit Angst vor Verlust verbunden. Das spielt vor allem hinsichtlich der Gendergerechtigkeit eine Rolle. Schauen wir ganz binär auf die Geschlechtergerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. Männer – und damit meine ich zugespitzt den weißen cis heteronormativen Mann – haben Angst, das Feld zu räumen, das sie vermeintlich für sich behauptet haben. Meiner Meinung nach muss man dort hingehen, wo diese Männer sind. Man muss sie begleiten und sie abholen. Bleiben wir beim Beispiel der Gendergerechtigkeit.


Wir sagen schon lange wir wollen mehr Transparenz hinsichtlich des Gender Pay Gaps. Seit Jahren haben wir nun die Zahlen, die beweisen, dass wir Frauen im Durchschnitt 20 % Prozent weniger verdienen als Männer. Wir haben mehr Transparenz, aber wir holen die Männer damit nicht ab. Transparenz reicht hier nicht aus. Wenn eine Frau zum Himmel empor nach mehr Transparenz schreit, was sieht sie dann? Sie sieht dort oben die gläserne Decke. Es kann nicht transparenter werden als eine gläserne Decke. Diese gläserne Decke muss durchbrochen werden. Wir Frauen müssen weiterkämpfen, weil Männer ihre Privilegien nicht einfach aufgeben werden. Sie haben Angst mit uns zu konkurrieren. Dasselbe gilt auch für den Rassismusbereich. Weiße haben es gut. Ein halbes Millennium haben weiße Männer kaum eine externe Konkurrenz befürchten müssen. Sie haben sich gegenseitig bekämpft, aber weiße mussten sich nie einem richtigen Wettbewerb mit Schwarzen aussetzen, genauso wenig wie Männer sich einem echten Wettbewerb mit Frauen aussetzen mussten. Das führte zu einer weißen Mittelmäßigkeit und einer männlichen Mittelmäßigkeit. Das führte wiederum dazu, dass das System von weißen, und genauer, das patriarchale System von weißen Männern fortbesteht. Aus diesem Grund sind viele männliche Führungspositionen nur mittelmäßig.


Das System, die institutionellen Diskriminierungen, schützt sie davor besser zu werden, weil sie nicht richtig konkurrieren müssen. Die Gesellschaft, die dieses System aufrechterhält und fortführt betreibt somit emotionalen Inzest. Es braucht heutzutage neue Ideen aus anderen Blickwinkeln, von Menschen, die eigentlich schon längst zu dem Teil der Gesellschaft gehören müssten, die für die Gesellschaft Entscheidungen treffen, einfließen. Diversität gab es schon immer, jedoch wurde sie lange Zeit nicht wahrgenommen und gewürdigt. Wenn wir uns vorstellen, dass die heutige Gesellschaft als Ganzes an einem Tisch sitzt, sollte niemand von diesem Tisch ausgeschlossen werden, nur, weil es möglicherweise zu wenig Sitzplätze gibt. Wir müssen sicherstellen, dass alle einen Platz bekommen und im Notfall eine Verlängerung anheften, sodass genug Platz für alle besteht.”


Das Interview führte Alicia. Das neue Buch von @dr.michaela.dudley „Race Relations: Essays über Rassismus“ (256 Seiten, 50 Illustrationen, € 19,90, ISBN 9783946625612, Verlag GrünerSinn) kann überall erworben werden.



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