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Gendergerechtigkeit in der Bundeswehr


Wenn wir über Diskriminierung am Arbeitsplatz sprechen, denken die meisten wohl an große Konzerne, Bürojobs - oder auch klassiche Männerdomänen wie die Produktion oder technische Berufe. Die wenigsten denken an die Bundeswehr. Dabei ist sie für 260.000 Menschen in Deutschland zunächst einmal Arbeitgeberin.


Wie sieht diese Arbeitgeberin für innen aus, aus einer Gender-Brille? Dieser Frage ist Journalist*in Julian Daum nachgegangen und hat sie mit in einem Dokumentarfilm beantwortet, der über die ARD Mediathek verfügbar ist. Wir haben Julian, sowie Mariano Rodriguez, zuständig für Kamera, getroffen und zu ihren Einblicken befragt.


Julian, du hast einen Film gemacht, und zwar zu einem ziemlich brisanten Thema. Diskriminierung in der Bundeswehr. Wie ist das passiert? J: Ich bin Journalist*in und arbeite vor allem zu Diskriminierungsthemen. Die Bundeswehr hatte ich schon länger auf dem Schirm und es gab, auch durch den Fall Anastasia Biefang ein Interesse am Thema Genderdiskriminierung.


Kurz für alle, die das nicht mitbekommen haben: Die Trans Soldatin Anastasia Biefang erhielt letztes Jahr eine Rüge von der Bundeswehr, da sie vermeintlich ihrer Pflicht zum ordnungsgemäßen außerdienstlichen Auftreten nicht gerecht geworden war. Warum? Sie hatte auf Online Dating Portalen nach Sex gesucht, was die Gemüter ziemlich hoch hat kochen lassen. In der Debatte daraufhin kamen auch ziemlich queerfeindliche Positionen ans Licht.


J: Genau. Mit unserem Projekt haben wir im August 2022 losgelegt. Es ging vor allem erstmal darum, Leute ausfindig zu machen und sie zu treffen. Ich habe ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, damit Menschen mich an ihrer Geschichte teilhaben lassen. Und dann habe ich eine Studie in Aussicht gestellt bekommen - und zwar von Personen mit Betroffenheitsperspektive. Daraufhin hat der Sender uns dann das Go für den Dreh gegeben.


Was für eine Studie war das -und was hast du damit gemacht?


J: Die Studie hat Umfrageerbebnisse zu unterschiedlichen Diversitätsdimensionen abgebildet. Mich hat z.B. überrascht, dass ca 21% der Frauen bei der Bundeswehr Diskrimiminierung auf Grund von Gender erfahren haben.


In meiner Recherche ging es dann darum, die Ergebnisse der Studie um eine menschliche Perspektive zu ergänzen. Unser Volontär und ich haben viele cis-weibliche und queere Soldat*innen gefunden, die mit uns sprechen wollten. Aber als wir fragten, ob sie ihre Erfahrungen vor der Kamera wiederholen würden, sind viele abgesprungen. Auch das Angebot, sie zu anonymisieren, nahmen nicht viele an. Die Existenzangst ist groß, die Geschichten sind teilweise so spezifisch, dass die Personen dahinter trotz Anonymisierung Angst hatten, erkannt zu werden.


Das kann ich mir vorstellen. Wie seid ihr damit umgegangen?


J: Das war frustrierend. Zunächst waren Menschen total offen uns gegenüber, wir haben viel Arbeit dafür aufgewandt, mit einer vertrauensvollen Art auf sie zuzugehen. Wir haben viel erklärt, waren transparent über den journalistischen Prozess, haben uns Zeit genommen Dinge wie Informantenschutz zu besprechen und auch rechtliche Fragen erklärt.


Aber dann: “Kamera, nein - doch lieber nicht”. Teilweise haben sie uns aber dennoch gern ein paar Hintergrundinfos gegeben. Aber: Wir haben so viele erschütternde Geschichten gesammelt, die wir nicht erzählen konnten.


Das muss mental wahnsinnig anstrengend sein. Ich kenne von unseren Interviews in Unternehmen das Dilemma, welches du beschreibst. Auf der einen Seite sind Beispiele und konkrete Geschichten besonders gut dafür geeignet, ein Problem anschaulich zu machen und dann auch Veränderungswillen auszulösen. Auf der anderen Seite ist es schwer, Menschen zu schützen, wenn zu viele Einzelheiten preisgegeben werden.

J: Ja, total. Ich habe jeder einzelnen Person gesagt, dass wir ihre Identität schützen werden. Letztendlich habe ich aber auch gesagt: Du musst wissen, wie viel du mir erzählst. N: Ich habe das Gefühl, dass du das gut gemacht hast. Letztendlich haben wir ja doch noch Menschen vor die Kamera bekommen.


J: Dankeschön.


Mariano, du kommst vom Kollektiv Guerrilla Divas. Bei dem Bundeswehr-Projekt bist du ins Spiel gekommen, um die Kamera zu machen. Euch war es wichtig, dass das Projekt auch queere Positionen vertreten hat. M: Ja, genau. Wir wollten eigentlich vor allem queere Positionen beleuchten, auch mit dem Film. J: Aber dann war das Thema Gender so groß, dass es auch mit rein musste. In der Studie, auf die der Film aufbaut, werden sechs Vielfaltsdimensionen definiert und besprochen, geschlechtliche Identität und sexuelle Identität werden separat behandelt.


Das ist oft so. Und wie sieht es mit queeren Frauen in der Bundeswehr aus?


J: In unserer Recherche merkten wir, dass es eine relativ laute Gruppe weißer homosexueller Soldaten gibt, die für ihre Rechte einstehen. Frauen sind weniger sichtbar und queere Frauen gar nicht. Das liegt auch daran, dass die Bundeswehr ohnehin sehr männlich ist und queere Frauen auch wegen demographischer Gegebenheiten weniger vorkommen.


Ja, das ist sicherlich in vielen Sphären so. Und dennoch heißt Unsichtbarkeit natürlich nicht zwangsläufig, dass es sie nicht gibt. Was hat euch überrascht?

N: Die Angst war schon krass. Leute wollten ihre Stimme verstellt haben und nur von hinten gefilmt werden. Das hat mich wirklich geschockt. Irgendwie war das auch nicht überraschend, aber krass. Und, ehrlich gesagt, war ich auch überrascht, dass einige der Personen echt cool waren. Ich habe mich gefragt, warum sie in der Bundeswehr sind, wo wir doch so problematische Zustände vorgefunden haben.


Erzählt doch mal bitte etwas mehr dazu, wie diese Zustände aussehen. Wie sieht Diskriminierung auf Basis von Gender aus in der Bundeswehr? J: Die Fälle aus der Studie und auch aus den Gesprächen sind vielfältig. Sie rangieren von übergriffigem Verhalten gegenüber Gleichgestellten über sexualisierte Übergriffe und bis hin zur Vergewaltigung.


Auffällig war eine Diskrepanz darin, wie Personen je nach Gender die Kultur in der Bundeswehr wahrnehmen. Während viele Männer denken, Frauen würden beispielsweise eher befördert werden, berichteten uns Frauen von der gläsernen Decke. Gerade junge Soldat*innen sind sich nicht über ihre Entscheidungs- und Karrieremöglichkeiten bewusst oder werden teilweise nicht richtig informiert.


Frauen berichteten uns auch davon, nicht ernst genommen zu werden. Und, wie häufig beim Thema Sexismus, war auch eine typische Täter Opfer Umkehr ein gängiges Narrativ. ich könnte viele andere Beispiele anbringen, die zeigen, inwiefern Gender als soziale Kategorie die Erfahrung in der Bundeswehr mitprägt.


In allen Institutionen, in denen es Abhängigkeiten gibt, stellt sich die Frage danach wie Betroffenen in solchen Situationen geholfen werden kann.


J: Absolut, so auch in der Bundeswehr. Das Abhängigkeitsverhältnis und Hilfebedürftigkeit sind fest miteinander verwoben. Laut formalen Prozessen ist der direkte Vorgesetzte tatsächlich die Person, an die man sich wenden soll. Von dieser einen Person hängt dann alles ab. Heißt: die Person muss dich ernst nehmen und das Problem anerkennen. Und reagieren.

Diese Strukturen machen es extrem schwer, etwas zu sagen. Im Zweifel ist man seinen Job los. Es gibt Seilschaften, die sich gegenseitig decken. Mein Vorgesetzter ist vielleicht nicht die Person, von der das Problem ausgeht, aber eventuell deckt er jemand anderen.


Das klingt verfahren. Mal naiv gefragt: Warum decken sich Personen in solchen Rollen gegenseitig?


J: Weil es ein schlechtes Licht auf den Vorgesetzen wirft, wenn er seinen Laden nicht im Griff hat. So zumindest die Vermutung vieler meiner Gesprächspartner*innen.


Nach dem Motto, wenn nichts besprochen wird, ist nix da. Also werden Probleme eher vertuscht. N: Auch. Aber es gibt eben auch Personen, die scheinbar wirklich davon überzeugt sind, dass die Bundeswehr ein super Ort für Frauen und queere Personen sei. J: Ja, weil sie so viel auferlegte Transparenz haben. In diesem Punkt gehe ich sogar mit. Jedes Jahr wird jede Beschwerde durchgegangen und genau festgehalten, was passiert ist und wem welche Disziplinarmaßnahme auferlegt wurde.


Das klingt erstmal gut. Die Dunkelziffer bleibt sicherlich dennoch hoch, wie überall anders auch. J: Ja, uns wurden unterschiedliche Erfahrungen berichtet. Eine Person hat erzählt, dass sie einen Vorgesetzten nach ungebührlichem Verhalten selbst zur Rede stellte, ,dann aber ins Büro dessen Vorgesetzten geholt und gefragt wurde, was sie sich anmaßen würde, solche Anschuldigungen zu machen.


Sie sei damals an ihrer neuen Dienststelle herumgeführt worden von ihrem Chef und im Waschraum hätte er sie dann nach ihren Duschgewohnheiten gefragt und ob sie Angst hätte, dass jemand reinkommen könnte. Es folgten weitere Anspielungen, die sie erst hinterher als komisch eingeordnete. Letztlich hätte er sie auch mehrfach betatscht. Dieser Fall ist aber nie in einer Beschwerdestelle gelandet, weil ihr am Ende das Karriereende angedroht worden sei.


Beim nächsten Mal hat sich die Person direkt an die Wehrbeauftragte der Bundeswehr gemeldet und dann wurde auch ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Hier hat der formale Weg funktioniert.



N: Eine andere Person wiederum hat erzählt, dass ihr viele Mikroaggressionen vom Team und Vorgesetzten entgegengegebracht wurden, wegen weniger Flexibilität durch Kinder. Diese Person hat lange nichts gesagt. J: Ja, diese Geschichte hatte auch eine geschlechtliche Komponente. Es ging um die Möglichkeiten, nach der Elternzeit zurückzukommen.


Inwiefern spielen Mikroaggressionen und subtiler Sexismus eine Rolle?

J: Mikroagressionen gibt es auch, aber weniger. Das meiste war schon sehr offensichtlich. Eher Makro als Mirko. Offene Homofeindlichkeit und keine kleinen Sprüche.


Das Awarenesslevel ist nicht so gut. Aber es sind unterschieichste Leute in dieser großen Organisation, und z.B. auch welche, die bei QueerBW sind. Das ist die Interessenvertretung für queere Menschen bei der Bundeswehr. Und die wiederum meinten, die Bundeswehr sei auf einem guten Weg. Politisch sei da viel Wille.


Aber bis es in die Praxis übergeht, ist es ein langer Weg. Viele Führungskräfte sind bald in Rente und sie haben keine Lust sich noch mehr mit “neuen” Sachen zu beschäftigen, Verwaltungstechnisch werden Sachen weg-ignoriert, die dritte Option “divers” gibt es z.B. noch immer nicht formal bei der Bundeswehr, obwohl sie gesetzlich vorgesehen ist


Das ist interessant. Die Bundeswehr macht schließlich sehr viel Werbung und positioniert sich als moderne und offener Arbeitgeberin.

J: Ja, die Diskrepanz ist groß. Ich war für den Film auch in einem Karrierestore der Bundeswehr und gab vor, als queerer Mensch dort arbeiten zu wollen. Die Beratungsperson hat mich beraten und gesagt, hier können alle arbeiten, egal ob blau, grün, rot oder “Transvestit”. Die Person wollte also eigentlich zeigen, wie offen sie seien und hat aber ungünstigerweise diskriminierende Sprache reproduziert.


N: Wir waren beim Filmdreh bei einer großen Veranstaltung, in der Zeitsoldat*innen eingeschworen wurden. Dort gab es keine Frauen in leitenden Funktionen, soweit ich das sehen konnte.


.. im Gegensatz zu jedem zweiten Plakat, das von der Bundeswehr in Berlin hängt.

J: Ja, die statistische Realität ist: es gibt fast keine Frauen im Heer (13%); die zivile Bundeswehr ist nochmal anders aufgestellt und es gibt schon auch unterschiedliche Strukturen und Modelle, aber es ist männlich geprägt.


N: Ich hatte manchmal Angst beim Filmen.. Ich fand es komisch, diese ganzen Männergruppen. Ich habe mich unwohl gefühlt. Husum war voller Soldaten


Männlich geprägte Umfelder sind oft sehr maskulin aufgeladen. Damit meine ich Werte und Assoziationen, die eher Männern zugeschrieben werden. Das kreiert ein Umfeld, in dem sich Frauen, aber auch andere Person, die eher feminin sind, vielleicht weniger wohlfühlen.

J: Ja, das stimmt. Die Kultur, die von vielen beschrieben wird, ist maskulin. Es gab schon viele Sprüche nach dem Motto: Du musst schon was aushalten können in der Bundeswehr, sonst landest du hier nicht. N: Ich denke schon, dass das Bild der Armee eine Grundlage für toxische Maskulinität hergibt.


J: Strukturell muss viel passieren, um das zu ändern. Auch in Sachen Kultur: es ist keine zeitgemäße Art der Unternehmensführung. Beim Umgang mit Diskriminierung z.B. hängt so viel davon ab, ob dich diese eine vorgesetzte Person mag oder nicht mag, ob sie sexistisch, rassistisch, queerfeindlich ist oder nicht.


Wer hat eurer Meinung nach die Verantwortung dafür, das zu ändern?


J: Die Bundeswehr hat sich in der Vergangenheit schon oft gegen Modernisierung gewehrt: Frauen haben sich eingeklagt, damit überhaupt alle Karrierewege offen sind, seit 2001. Ein Kulturwandel muss von der Politik eingeleitet werden, denn der Verteidigungsminister ist der Chef der Bundeswehr. Daher muss es vom Ministerium ausgehen. Aber die Bundeswehr und ihre Führungsebene müssen das auch annehmen wollen.



 

Das Interview führte Rea. Den Film könnt ihr über die ARD Mediathek finden.

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