Mikroaggressionen im Arbeitsalltag: Warum wir hinschauen, verstehen und handeln müssen
- Rea Eldem
- 20. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Mikroaggressionen sind wie Nadelstiche. Manchmal kaum spürbar, oft ungewollt, fast immer folgenreich. Gerade deshalb sind sie so schwer zu greifen – und so gefährlich für eine inklusive Arbeitskultur.
In diesem Beitrag zeigen wir, warum es so wichtig ist, Mikroaggressionen ernst zu nehmen, wie man sie erkennt, warum die Reaktion darauf oft Mut erfordert – und wie Unternehmen langfristig einen Raum schaffen können, in dem sich alle sicher fühlen.
Was sind Mikroaggressionen – und warum sind sie oft „nur gut gemeint“?
Der Begriff „Mikroaggression“ stammt ursprünglich aus der US-amerikanischen Diskriminierungsforschung. Gemeint sind damit alltägliche, meist beiläufige Bemerkungen oder Handlungen, die Menschen aufgrund ihrer (zugeschriebenen) Zugehörigkeit abwerten oder ausgrenzen. Oft ist es kein bewusster Angriff – aber einer, der dennoch trifft.
Beispiele gefällig?
„Du sprichst aber gut Deutsch – wo kommst du wirklich her?“
„Wow, du bist ganz schön tough für eine Frau!“
„Ich brauch mal einen starken Mann – kannst du mir helfen?“
„Toller Lippenstift – hast du heute noch ein Date?“
Jede einzelne dieser Aussagen mag harmlos erscheinen. In der Summe vermitteln sie jedoch: Du bist anders. Du gehörst nicht ganz dazu. Du wirst anders wahrgenommen – und behandelt.
Gerade das macht Mikroaggressionen so tückisch: Sie operieren im Subtext. Sie spiegeln gesellschaftliche Machtverhältnisse wider, reproduzieren stereotype Rollenbilder – und werden dabei oft als „Missverständnis“ abgetan.

Was Mikroaggressionen mit Arbeitskultur zu tun haben
Wer regelmäßig Mikroaggressionen erlebt, weiß: Es geht nicht nur um einzelne Situationen, sondern um ein Klima. Ein Arbeitsumfeld, das bestimmte Personen immer wieder abwertet – bewusst oder unbewusst –, ist kein sicherer Raum. Und das bleibt nicht ohne Folgen.
Mikroaggressionen im Arbeitsalltag untergraben Vertrauen, erschweren Zusammenarbeit, blockieren Kreativität. Sie führen dazu, dass sich Menschen zurückziehen, sich weniger einbringen – oder das Unternehmen ganz verlassen.
Für Unternehmen bedeutet das: Wer Diversität wirklich leben will, kommt an einem bewussten Umgang mit Mikroaggressionen nicht vorbei. Es reicht nicht, einzelne Diversity-Maßnahmen aufzusetzen. Es braucht eine nachhaltige Auseinandersetzung mit Kommunikationskultur, Machtverhältnissen – und der Bereitschaft, auch unangenehme Dinge zu benennen.
Mikroaggression oder doch was anderes?
Nicht jedes unhöfliche Verhalten ist eine Mikroaggression. Wichtig ist die Abgrenzung zu:
Direkter Diskriminierung (laut AGG): also klar benennbare Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Religion, Behinderung, sexueller Orientierung etc.
Unangemessener Kommunikation ohne strukturellen Kontext: etwa wenn jemand laut wird oder beleidigend ist, ohne dass dies auf ein Machtgefälle oder ein gesellschaftliches Stereotyp zurückzuführen ist.
Mikroaggressionen bewegen sich dazwischen. Sie sind oft nicht justiziabel – aber dennoch spürbar. Und sie sind strukturell: Sie basieren auf gesellschaftlichen Stereotypen und treffen meist marginalisierte Gruppen.
Zwischen Mut und Respekt: Wie kann ich auf Mikroaggressionen im Arbeitsalltag reagieren?
Wer eine Mikroaggression erlebt, steht oft vor einem Dilemma: Was soll ich tun? Etwas sagen – oder lieber nicht? Wird es dann noch unangenehmer?
Hier gibt es kein Patentrezept. Aber es gibt Handlungsspielräume:
Intervention: Ein direktes Ansprechen – mit Haltung und Respekt. Zum Beispiel mit Sätzen wie „Ich glaube, das war gerade verletzend – wollen wir kurz drüber sprechen?“
Fragen stellen: “Ich habe das nicht verstanden. Wie genau meinst du das?” kann zur Reflexion über unbewusste Denkmuster einladen und ggf. böse Absichten entlarven.
Calling In statt Calling Out: Also nicht öffentlich bloßstellen, sondern zur Reflexion einladen.
GfK (Gewaltfreie Kommunikation): Bedürfnisorientierte Kommunikation, die wertschätzend bleibt, auch wenn’s unangenehm wird.
Reporting und Hilfe holen: In vielen Organisationen gibt es inzwischen Vertrauenspersonen oder Meldestellen. Wichtig: Es ist nicht „petzen“, sich Unterstützung zu holen – sondern ein Zeichen von Selbstfürsorge und Verantwortung.
Und nicht zu vergessen: Nichtstun ist auch eine Entscheidung. Manchmal braucht es Abstand oder den richtigen Moment. Und manchmal auch einfach Verbündete, die mitsprechen.
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Wenn ich selbst eine Mikroaggression ausübe?
Auch das passiert. Und das ist okay – solange wir bereit sind, dazuzulernen. Wichtig ist:
Zuhören: Wenn dir jemand sagt, dass eine Aussage verletzend war – nimm es ernst.
Nicht in die Abwehr gehen („So war das doch gar nicht gemeint!“), sondern neugierig bleiben: Was genau war das Problem?
Reflektieren: Woher kommt mein Reflex? Was sagt das über meine Perspektive aus?
Verantwortung übernehmen: Keine Schuldgefühle, kein Drama. Einfach anerkennen, dass wir alle Teil eines Systems sind – und dazulernen können.
Mikroaggressionen sind keine moralische Einzelfrage, sondern ein strukturelles Phänomen. Entscheidend ist nicht, ob jemand „gut“ oder „schlecht“ ist – sondern ob jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Mikroaggressionen sind eine Frage der Macht
Wie mit Mikroaggressionen umgegangen wird, hängt oft von der Position im Unternehmen ab. Wer mehr Macht hat, kann sich leichter Gehör verschaffen – oder leichter über unangemessene Kommentare hinwegsehen.
Deshalb braucht es insbesondere Führungskräfte, die Mikroaggressionen erkennen, benennen – und eingreifen, wenn es nötig ist. Sie setzen den Ton für das, was als akzeptabel gilt – und was nicht.
Ein sicheres Arbeitsumfeld entsteht nicht von selbst. Es muss aktiv gestaltet werden. Und das beginnt mit den kleinen, unscheinbaren Momenten im Alltag.
Was Unternehmen tun können: Haltung zeigen – und strukturell ansetzen
Viele Organisationen tun sich schwer, mit Mikroaggressionen umzugehen. Oft fehlt es an Klarheit: Was ist okay? Was nicht? Was tun, wenn etwas passiert?
Einige mögliche Hebel:
Leitlinien und Awareness-Trainings zu respektvoller Kommunikation
Verankerung in der Feedback- und Fehlerkultur. Mitarbeitende darüber aufklären, was Mikroaggressionen sind, wie sie ihnen begegnen können - und wie sie konstruktiv damit umgehen, wenn sie selbst etwas falsch gemacht haben.
Möglichkeiten zur anonymen Meldung und externen Beratung, z.B. im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Ansprechstelle für Antidiskriminierung.
Kampagnen, die für Bias und Diskriminierung sensibilisieren – z. B. durch visuelle Impulse im Alltag. Sprich uns gerne auf unsere Anti-Bias-Poster an, die wir auch auf die individuellen Bedürfnisse deines Unternehmens anpassen können.
Fazit: Mut zur Grenze
Mikroaggressionen zu erkennen – und ihnen zu begegnen – erfordert Mut. Denn es bedeutet, Grenzen zu setzen. Klar zu benennen, was nicht okay ist. Und das mit Respekt. Für dich selbst – und für andere.
Doch genau darin liegt der Schlüssel für Veränderung. Für eine Arbeitskultur, in der alle gehört werden. Für ein Miteinander, das auf Augenhöhe funktioniert. Und für Unternehmen, die verstanden haben, dass Vielfalt nicht nur ein Aushängeschild ist – sondern eine tägliche Übung.
Denn Inklusion beginnt nicht bei großen Strategien. Sondern bei den kleinen Momenten. Den Sätzen, Blicken, Gesten – die wir oft gar nicht bemerken.