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People Who Inspire Us: Oriel Klatt und Fett*sein als politische Positionierung


„Dabei geht es nicht um individuelles Empfinden, sondern um ein strukturelles Machtverhältnis. Da ist es mir egal wie man sich fühlt - wenn mensch normschlank ist, ist das ist ein Privileg, dass ich benennen will. Da geht es jetzt auch nicht, dass Leute anfangen ihre kleinen Fettpolster zu suchen und den Spruch der Tante vor drei Jahren auspacken. Wer von Fetten*feindlichkeit betroffen ist, merkt das jeden Tag.“

Oriel Klatt setzt sich für eine Diskriminierungsform ein, über die sehr selten gesprochen wird: Diskriminierung gegenüber dicken_fetten* Menschen. Für alle, die neu im Thema sind und sich über das Sternchen wundern: Die Wörter dick und fett werden häufig auch als Beleidigung verwendet, obwohl sie eigentlich nur eine Zustandsbeschreibung sind. Dick ist das Gegenteil von dünn und beschreibt lediglich eine Form– ohne Wertung. Oriel nutzt die Schreibweise mit einem Sternchen, um diese Auseinandersetzung erkenntlich zu machen und zu zeigen, dass es eine politische Selbstpositionierung ist.


In unserem Gespräch erklärt Oriel, warum die Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig ist. Und: warum Personen, die normschlank sind, anfangen müssen, sich mit diesem Privileg auseinanderzusetzen.


Hey Oriel. Wer bist du und was macht dich aus?


Hey! Ich habe das Gefühl, es gibt so viele Sachen, ich finde es schwer, mir eine rauszusuchen. Ich fange mal mit Aktivismus an.


Gern.

Also…Ich bin Oriel. Ich wurde politisch sozialisiert in einer Antifagruppe in einer bayerischen Kleinstadt. Und habe dann auch schnell angefangen, mich mit Feminismus zu beschäftigen, aber gemerkt, dass das da in dem Rahmen richtig schwierig war, da Sexismus von meiner Gruppe nicht reflektiert wurde. 2010 bin ich nach Berlin gezogen und habe erst hier andere Strukturen gefunden, wo mehr ging.


Die linke Szene hat vielerorts ein Problem mit Misogynie. Macker-Gehabe ist teilweise so normalisiert, dass es teilweise sogar schwer zu adressieren ist. Welche Strukturen hast du in Berlin vorgefunden?

Ich wurde von autonomen FLINTAs voll an die Hand genommen in Berlin. Hier begann meine Beschäftigung mit dem Zweigeschlechtersystem und der Frage, was das für mich bedeutet. Und mir ist der Begriff Femme über den Weg gelaufen und hat in mir was bewegt. Ich hab mich sofort zuhause in ihm gefühlt und er hat für mich die Frage wie ich meine Queerness, meine Femininität und meinen politischen Anspruch vereine beantwortet.


Cool, der Begriff hat für mich persönlich ebenfalls eine wichtige Bedeutung. Kurz für alle, denen er nichts sagt: Femme ist eine (Selbst-)Bezeichnung von Personen die ihre queere Geschlechteridentität eher feminin ausdrücken.


Feminin assoziierte Kleidung, Verhaltensweisen, Schönheitshandeln usw. sich wieder aus dem Sexismussumpf zurückzuholen und positiv zu besetzen ist mir sehr wichtig. Was z.B. leider immer noch in linken Gruppen oft der Fall ist, ist, dass Dinge, die eher maskulin konnotiert sind, als Norm gesetzt werden und Feminität als Abweichung. Für mich ist es absurd, dass die gesellschaftliche Misogynie sich so in linken Räumen, teilweise sogar in queerfeministischen, wiederfindet.


Das sehe ich genauso. Ich bin oft frustriert, dass dieser Aspekt von Sexismus- die Verachtung gegenüber allem und allen, das oder die feminin sind, nicht reflektiert wird. Es gilt vielerorts als Widerspruch, Eigenschaften, die als weiblich markiert sind, innezuhaben und gleichzeitig queer-feministisch zu sein. Das nervt mich tierisch.


Ja, ich spüre immer wieder, dass ich auch in der queeren Community mit Mikroaggressionen umgehen muss und es einfach so viele feminitätsfeindliche Erzählungen gibt. Besonders nervt mich, dass es immer noch so ist, dass feminine Performances wenig sichtbar sind, als weniger politisch und dazu noch heteronormativ gelten und selten als cool und begehrenswert adressiert werden. Da hat die queere Community auf jedenfall noch was nachzuholen bei der Bearbeitung von (internalisierter) Feminitätsfeindlichkeit.

Aber eigentlich wollte ich dir ja von der Geburtsstunde meines Fett*Aktivismus erzählen. Ich hab angefangen, auch so 2010, zu Körpernormen zu arbeiten und Workshops anzubieten. Das Thema war Lookism - was ein Begriff ist für eine Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten. Aber ich bemerkte schnell, dass es zu viele Perspektiven im Raum gab und mein Ansatz zu breit war. Dann hab ich mir überlegt um was es mir wirklich geht und das war Fat Liberation (die Befreiung von dicken_fetten* Menschen).


Warum?


Weil es einfach so schlimm ist wie die Gesellschaft dicke_fette* Menschen behandelt. Es ist eine Diskriminierung über die nur sehr wenige Leute sprechen und wo gleichzeitig so ein Leidensdruck besteht. Ich kenne es selbst, da ich auch fett* bin und mein ganzes Leben schon Gewichtsdiskriminierung erlebe. Ich würde definitiv sagen, dass es das Machtverhältnis ist, dass mein Leben am stärksten strukturiert hat und mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin.


Es ist die Diskriminierungsform in der es kaum Antidiskriminierungswissen gibt, ganz im Gegenteil. Die absolut gängige Meinung ist, dass dick und fett sein was schlechtes ist, weil es ungesund und unattraktiv ist und bekämpft werden muss. Das heißt dicken_fetten* Leuten wird ihr ganzes Leben gesagt, dass sie gegen ihren eigenen Körpern kämpfen müssen, nicht begehrenswert und generell falsch sind. Und darüber hinaus sind sie noch selbst Schuld daran, denn die Annahme ist, dass jeder Mensch eigentlich erstmal schlank ist, bis er was falsch macht, also zu viel isst und sich nicht bewegt. Diese Schuld-Erzählung dient dann zur Legitimation von Diskriminierung.


Diese gesellschaftliche Geschichte kennen glaube ich tatsächlich alle, sie ist total normalisiert. Hast du ein Beispiel dafür, wie sich das auswirkt?


Dicke_fette* Menschen müssen viel Geld zahlen für Kleidung in richtigen Größen, haben wegen den Sitzgrößen oft keinen Zugang zu kulturellen Veranstaltungen wie Kino, Theater etc., sind beim Reisen von Barrieren betroffen und müssen oft doppelt soviel bezahlen wie normschlanke Leute, bekommen statistisch gesehen schlechtere Jobs und haben oft eine sehr schlechte gesundheitliche Versorgung. Dazu kommt noch die ganze zwischenmenschliche Abwertung und psychische Gewalt die meist schon in der Familie anfängt, sich dann im Freund_innenkreis und Dating weiterzieht und sich dann im öffentlichen Raum durch Beleidigungen und teilweise auch körperlicher Gewalt ausformt.


Its real bad!



Ja, das klingt schlimm! Und wie sieht dein Fett* Aktivismus aus?


Ich denke, ich würde es als Communitybuilding (Aufbau einer Community) bezeichnen. Ich denke, dass das essentiell ist, damit wir uns als dicke_fette* Leute politisieren, bestärken und anfangen politische Forderungen zu stellen. Ich hab Fat Empowerment Workshops gegeben, mache politische Performances und Vernetzungsarbeit. Ich war auch mal Teil des fat_positiven_Krawall_Kollektiv FAT UP! welches sich aus einem meiner Workshops heraus gründete und mit dem wir Vorträge und Workshops zu Fetten*feindlichkeit machten.


Momentan mache ich Vernetzungsarbeit über eine Fat and Queer-Telegramgruppe die ich gegründet hab, organisiere einen monatlichen fetten* Stammtisch, schreibe an einem Essay für einen Sammelband, den ich herausgebe und versuche auch in meiner Lohnarbeit bei ABqueer e.V. für die Arbeit mit den Schulen an der Schnittstelle zu Gewichtsdiskriminierung zu arbeiten.


Das sind ganz schön viele Projekte und Tätigkeiten gleichzeitig. Und das macht Sinn, denn das Thema ist ja allgegenwärtig, wird aber oft nicht so viel besprochen, oder?


Überall wo ich bin, versuche ich das Thema reinzubringen. Da ich in der Antidiskriminierungsbildung arbeite, sehe mich da schon durch meine Zugänge in der Verpflichtung, zumindest Gewicht als Machtverhältnis sichtbar zu machen. Gewicht ist keine offizielle Diskriminierungskategorie und taucht nicht auf im Antidiskriminierungsgesetz. Deswegen gibt es keine Geldtöpfe vom Berliner Senat, die Bildung und Beratung zu dem Thema finanzieren. Das ist ein riesen Problem! Wenn es keine Gelder gibt, dann wird es sehr lange dauern bis sich diskriminierungssensibles Wissen verbreitet und die Arbeit liegt weiterhin bei den Betroffenen.


Solange das so ist bleibt uns Fett*Aktivisten nichts übrig, als unser Wissen weiterzutragen und Awareness zu schaffen. Unsere Aussage ist simpel und radikal zugleich: Es ist okay, dick_fett* zu sein. Man ist weder Einzelpersonen oder der Gesellschaft schuldig, sich zu verändern, sich selbst zu bekämpfen oder sich zu erklären.


Klingt erstmal logisch. Welches Wissen wird denn bei uns in der Gesellschaft verhandelt, dass eine solche Aussage als radikal gilt?


Puh… da kann mensch weit zurückgehen und sich in der Geschichte umschauen wie sich Körper- und Gesundheitsdiskurse entwickelt haben. Um mal ein paar Schlaglichter zu nennen: “Leibeserziehung” im NS, Körpermessungen als Form kolonialer Gewalt und Selbstoptimierungsdiskurse im Neoliberalismus. Grad auch in Deutschland ist Schlanksein und die damit assoziierte Gesundheit wichtige kollektive Werte. Historisch ist die Fetten*feindlichkeit untrennbar verbunden mit der Entwicklung und Verteidigung einer weißen, schlanken, ableisierten, männlichen Norm.


Aber um es mal runterzubrechen: Das Resultat ist, dass es völlig normalisiert ist, dass dicke_fette* Körper falsch sind und die Ursache im eigenen Fehlverhalten liegt. Deswegen ist die Aussage, dass dicke_fette* Menschen einfach so okay sind, wie sie eben sind, eine radikale Aussage.


Im Endeffekt geht es um eine 180 Grad Drehung des Themas. Momentan liegt der Fokus auf dicken_fetten* Körpern, wie ungesund und unattraktiv sie sind und was wir als Gesellschaft tun können, um nicht so zu sein. Diättips und Schlankheitskuren auf jedem Zeitschriftencover, Witze, Entmenschlichungen und Demütigung von dicken_fetten* Menschen in Filmen und Serien oder auch Beleidigungen, Ratschläge und Maßregelungen in der Familie und Freund_innenkreis. Alles Diskriminierung, die unhinterfragt jeden Tag passiert. Ich möchte die Blickrichtung ändern und schauen, was diese alltägliche Diskriminierung psychsich und körperlich mit Menschen macht. Diskriminierung ist Stress, ständiger Stress, der Auswirkungen auf Körper und Psyche hat.


An dieser Stelle möchte ich mich auch von Body Positivity Movements abgrenzen. Diese sind meist stark kommerzialisiert und entpolitisiert. Der Anspruch „alle Körper sollen schön sein“ ist an der Realität vorbei, da viele Körper bereits schon sehr lange als schön hergestellt werden, was ja Teil des Problems ist. Es bedarf zunächst Antidiskriminierungsarbeit für marginalisierte Körper, und dazu gehören Schwarze und of Color_dicke*fette_disabled Körper.


Die Kritik am Body Positivity Mindset spricht mich sehr an, damit habe ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit auseinandersetzen dürfen. Für alle, die das Konzept nicht kennen: Body Positivity bezeichnet eine positive Haltung dem eigenen Körper gegenüber. Ein Body Positivity Ansatz impliziert damit aber nicht nur den Anspruch, den eigenen Körper schön zu finden, sondern suggeriert damit auch immer, dass all diejenigen, die den eigenen Körper nicht schön finden, einfach nicht hart genug an ihrem „Mindset“ arbeiten. Das finde ich extrem problematisch. Wie gehst du damit um?


Klar, das verlagert das Problem wieder ins Private. Das Individuum soll das überwinden, was gesellschaftlich verkackt wurde. Eine weitere Anforderung an marginalisierte Körper. Nicht nur, dass wir jeden Tag von Diskriminierung betroffen sind, jetzt sollen wir uns selbst auch noch selbstbewusst und am besten für Konzerne mit Diversityanspruch vermarktet lassen. Nein!


Es ist individuell okay wenn es dauert, aber irgendwann müssen wir als Dicke_fette* Menschen rausgehen und als politische Subjekte auftreten. Wir müssen uns melden. Und es finden immer mehr Leute Worte dafür, dass ihnen Unrecht angetan wird. Und alleine wird's nicht gehen, wir brauchen Verbündete, die Lust haben, sich zu solidarisieren und Privilegien loszulassen.


Viele von den potentiellen Allies, also Kompliz*innen, die mehr Privilegien haben und sich für Belange von marginalisierten Gruppen einsetzen könnten, haben Unsicherheiten mit ihrem Körper. Ich denke normschlanke Menschen, insbesondere weiblich sozialisierte Personen, sehen sich selbst oft nicht als schlank - oder der Norm entsprechend. Sie haben ja selbst eine Diätkultur verinnerlicht und schämen sich für ihren Körper bzw. lehnen ihn ab.


Wir alle leben in einer Diätkultur. Alle Menschen sind davon betroffen. Auch Leute mit normschlanken Privilegien haben Angst, einem Ideal vom normschlanken Körper nicht mehr zu entsprechen. Und einige tun viel dafür, dass „man nicht abrutscht“ - besonders feminisierte Leute. Manche Leute haben auch in ihrer Vergangenheit Erfahrungen mit Fetten*feindlichkeit gemacht und genießen jetzt normschlanke Privilegien.


Aber das ist wichtig - Der eine Teil der Gruppe will es nicht oder ist es nicht mehr und der andere Teil der Gruppe ist genau das: Sie sind die dicken_fette* Leute, die täglich Diskriminierung erleben. Dabei geht es nicht um individuelles Empfinden, sondern um ein strukturelles Machtverhältnis. Da ist es mir egal wie man sich fühlt - wenn mensch normschlank ist, ist das ist ein Privileg, dass ich benennen will. Da geht es jetzt auch nicht, dass Leute anfangen, ihre kleinen Fettpolster zu suchen und den Spruch der Tante vor drei Jahren auszupacken. Wer von Fetten*feindlichkeit betroffen ist, merkt das jeden Tag.


Und klar, ich gucke auch ungern auf meine Privilegien. Aber wir müssen einen Weg finden, darüber zu sprechen. Dass Leute sagen, ich habe normschlanke Privilegien, das passiert extrem selten.


Ja, das ist richtig. Ich stelle mir deine Arbeit super anstrengend vor. Genau wie bei meiner Arbeit sind das ja emotional aufgeladene Themen, zu denen irgendwie jede*r eine Meinung hat. Was machst du, um damit klarzukommen?


Gute Frage! In meiner Lohnarbeit baue ich als Pädagog*in Brücken und spiele unermüdlich Erklärbär_in. Da mache ich die Arbeit, die andere Betroffene in ihrem Alltag nicht leisten können oder wollen. Das ist meine Arbeit und dafür werde ich bezahlt. Das ist schon okay.


Aber als Privatperson kann ich nicht gewährleisten, dass ich nicht müde oder wütend werde. Ich fordere schon eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema von meinem Umfeld. Ich denke mittlerweile bin ich nicht mehr so sehr in eine Bittsteller_innenposition, sondern fühle mich stark genug für mich zu sprechen und auch Grenzen zu ziehen. Dennoch fühle ich allgemein einen Stillstand bei dem Thema, es tut sich nicht genug von Seiten der normschlanken Leute. Und gleichzeitig gibt es mir Hoffnung, dass die Leute, die seit Jahren zu fetten* Perspektiven arbeiten, sichtbarer werden.


Danke vielmals, Oriel. Danke für das Interview und danke für deine tolle Arbeit.


 
  • Das Akronym FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen – also für all jene, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden

  • Hier bezieht sich Oriel auf das Konzept des Ableismus: der aus dem Englischen stammenden Begriff ableism bzw. disablism leitet sich aus dem Bereich der US-amerikanischen Behindertenbewegung bzw. der Disability Studies ab. Hier geht es vor allem darum, die normative Vorstellung davon, was Menschen leisten oder können müssen aufzuzeigen, denn wer von dieser Norm abweicht, wird als behindert gekennzeichnet und als minderwertig wahrgenommen.

 

Das Interview führte Rea. Oriel ist nicht auf Social Media, aber ihr könnt mal auf der Seite von ABqueer vorbei gucken. Wer sich weiter mit dem Thema beschäftigen will, dem*der empfiehlt Oriel:


Lahya Aukongo: https://aukongo.de/

Schwarzrund: Schwarzrund.de

Mäks Roßmüller: https://maeks.me/

Luise Demirden: luise_boom bei Instagramm


Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung: https://gewichtsdiskriminierung.de/

Abqueer e.V.: https://abqueer.de/


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