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Psychologische Sicherheit für einen inklusiveren Arbeitsplatz

  • Autorenbild: Luka Özyürek
    Luka Özyürek
  • vor 3 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Psychische Gesundheit ist in den letzten Jahren auf dem Radar der Arbeitgeber*innen angekommen. Viele Unternehmen haben erkannt, dass ihre Angestellten auf die Dauer keine gute Arbeit leisten können, wenn sie ständig unter Druck stehen, die Work-Life-Balance nicht funktioniert und sie im schlimmsten Fall im Burnout landen. Sie sind sich bewusster, dass es für viele Menschen angenehm ist, zumindest teilweise im Home Office zu arbeiten oder sich den Tag flexibel gestalten zu können. Einige bieten Achtsamkeitstrainings oder Coachings an oder arbeiten mit psychologischen Berater*innen zusammen. Das ist an und für sich super - aber eine Sache scheint Mitarbeitende nach wie vor zu beschäftigen, nämlich psychologische Sicherheit. Wir sehen das in Workshops regelmäßig: Alle verstehen, was Diskriminierung bedeutet, wie Mikroaggressionen funktionieren, wie Konflikte entstehen… aber niemand schafft es so richtig, sie anzusprechen. 


  • “Ich würde gerne was sagen, aber es geht um meine Vorgesetzte.”

  • “Wenn ich das jetzt jedes Mal kommentiere, gelte ich als Spielverderber.”

  • “Wir haben das schon mehrmals versucht, aber wir wollen auch nicht so sehr eskalieren.”


Das liegt selten daran, dass diese Menschen schlecht kommunizieren können. In den allermeisten Fällen ist das eigentliche Problem, dass sie sich psychologisch an ihrem Arbeitsplatz nicht sicher fühlen. 


Was ist eigentlich psychologische Sicherheit?


“Psychologische Sicherheit” bedeutet: Ich weiß, dass ich Fehler machen und um Hilfe bitten darf. Ich kann ich selbst sein, auch mal einen schlechten Tag haben, muss mich nicht verstecken und “funktionieren”, bis ich ausbrenne. Umgekehrt kann ich Kritik äußern und Fehlverhalten von anderen Menschen ansprechen, ohne dass ich negative Konsequenzen befürchten muss. Ein Arbeitsplatz, an dem sich alle psychologisch sicher fühlen, ist geprägt von Vertrauen, Transparenz und Wohlwollen.


Das heisst im Umkehrschluss allerdings nicht, dass psychologische Unsicherheit nur dort herrscht, wo die Strukturen hierarchisch, autoritär oder extrem leistungsorientiert sind. Zugegeben, häufig hängt das zusammen: Wo Führungskräfte mehr regieren als leiten und “Profit before People” gilt, entsteht selten eine fehlerfreundliche Arbeitsatmosphäre. Kritik ist unkonstruktiv, Feedback gibt es (wenn überhaupt) nur top-down, und wer um Hilfe bittet oder eine Deadline nicht schafft, hat verloren. Aber auch Organisationen, denen flache Hierarchien und ein freundschaftlicher Umgang miteinander wichtig sind, tappen sehr leicht in diese Falle.


“Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb”


Denn dort ist es zwar in Ordnung, auch mal Fehler zu machen oder um Hilfe zu bitten - aber Kritik

wird gescheut. Nicht aus Angst vor Konsequenzen, sondern aus Angst, die kritisierte Person zu beschämen oder zu verletzen, die Harmonie im Team zu stören und unnötige Konflikte aufzumachen. Positives Feedback wird hochgehalten, negatives Feedback soweit wie möglich vermieden. Schwierig ist das vor allem deshalb, weil sich solche Unternehmen eigentlich als einen Ort verstehen, wo alle sich wohl fühlen können, aber nicht immer verstehen, dass “Wohlfühlen” nicht “Konfliktfreiheit” bedeutet. Schlimmstenfalls schlägt das sogar in toxische Positivität um, die von außen fehlerfreundlich aussieht, Mitarbeitende aber nur auf andere Weise verunsichert. 


Two people in outdoor clothing, looking up as their umbrella flips over.
Psychologische Sicherheit bedeutet nicht Konfliktscheu.

Oder anders gesagt, die Umstände sind gegenteilig, aber das Ergebnis - fehlende psychologische Sicherheit - letztendlich dasselbe.


Psychologische Sicherheit ist auch ein Diversitätsthema


Das ist schon in homogenen Teams ein Problem, noch schwieriger wird es aber, wenn Diversität ins Spiel kommt. Denn marginalisierten Menschen fehlt häufig schon von vornherein grundlegende psychologische Sicherheit, die für die Mehrheit ganz normal ist. Sie müssen sich anpassen, “Vorzeigeminderheit” sein, denn wenn sie Hilfe brauchen, Fehler machen oder Kritik ernten, fällt das oft nicht nur auf sie selbst zurück, sondern wird gleich auf alle anderen Menschen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder Orientierung übertragen: Die eine Frau im Team hat Mist gebaut? Klar, ist halt doch ein Männerjob. Die eine BIPoC geht nicht mit Mittagsessen? Typisch, die wollen sich halt nicht integrieren. 


Und auch hier funktioniert die Umkehr: Sind alle schon sehr bemüht, inklusiv zu sein, dann kann es passieren, dass niemand sich traut, marginalisierte Kolleg*innen zu kritisieren, aus Angst, sie dadurch zu diskriminieren. Dass auch das letztlich dazu führt, dass diese auf ihr “Anderssein” reduziert werden, fällt nicht immer auf.


Ehrlichkeit und Takt balancieren


Psychologische Sicherheit ist also immer ein bisschen Balanceakt - nicht auf Eierschalen laufen, aber auch nicht brutal ehrlich sein ohne Rücksicht auf Verluste. Fehlerfreundlich sein, aber nicht konfliktscheu. Raum für unterschiedliche Bedürfnisse und Kommunikationsstile lassen, aber auch Grenzen setzen. Das lässt sich nicht von heute auf morgen erreichen und auch nicht top down verordnen; es ist ein Aushandlungsprozess, auf den sich alle einlassen müssen.


Dennoch gibt es einige Dinge, die Führungskräfte tun können, um die psychologische Sicherheit in ihrem Team zu stärken.


  • Mit gutem Beispiel voran gehen. Führungskräfte geben den Ton an, und das gilt ganz besonders, wenn es darum geht, eine sichere Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Wer selbst ehrlich ist, Fehler eingesteht, “Schwäche” zeigt und Kritik wertschätzt, signalisiert: Das ist nicht nur in Ordnung, sondern erwünscht - unabhängig von deiner Rolle, auch ganz oben. Tip: Sich als Führungskraft proaktiv Feedback einzuholen und auch zu (konstruktiver!) Kritik zu ermutigen hilft dabei, auf Augenhöhe zu kommunizieren und das Sicherheitsgefühl zu stärken.

  • Konstruktive Kritik und negatives Feedback normalisieren. Achtung, das heisst nicht, dass nun alles besonders kritisch betrachtet werden soll. Sondern, dass es normal sein sollte, zu teilen, wenn etwas nicht rund läuft oder sich nicht richtig anfühlt - sei es in Bezug auf die Arbeit selbst, sei es in Bezug auf Zwischenmenschliches. In einem psychologisch sicheren Umfeld trauen sich alle, auch negative Gefühle zu teilen, weil sie wissen, dass das wertgeschätzt und ernstgenommen wird. Dieses Vertrauen braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Stärken kannst du es beispielsweise durch Formate wie den “Fuck-up Friday”, entsprechende Fragen im Check-in oder Feedback, usw.

  • Diskussionskultur stärken. Es muss nicht immer Feedback sein - auch durch eine offene Diskussionskultur kann das Vertrauen gestärkt werden. Denn dann merken alle: Es ist okay, auch mal gegensätzliche Meinungen zu vertreten, wir können trotzdem gut und konstruktiv miteinander umgehen. Hier bieten sich zum Lernen z.B. Brainstorming-Methoden an, bei denen Teammitglieder unterschiedliche Rollen einnehmen, oder auch informelle Austauschformate, die zu Diskussionen ausdrücklich einladen. (Aber Achtung: Hier solltest du sensibel moderieren und ein Auge darauf haben, dass der Ton wertschätzend bleibt und niemand übermäßig viel Raum einnimmt.)


Psychologische Sicherheit ist eine Haltung. Wenn du es schaffst, sie im Arbeitsalltag zu leben und an deine Mitarbeitenden und Kolleg*innen zu vermitteln, gestaltet ihr auf lange Sicht einen Arbeitsplatz, an dem Fehler gemacht und besprochen werden dürfen - und damit ihren Schrecken verlieren. Denn Fehler passieren und Konflikte lassen sich nie komplett vermeiden; der Trick ist, mit ihnen gemeinsam achtsam umzugehen.

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