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UNCONSCIOUS BIAS: UNSICHTBARE FILTER


Unconscious Bias kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt in etwa „unbewusste Voreingenommenheit“. Weil das etwas sperrig klingt, wird auch im Deutschen oftmals der englische Begriff Bias genutzt. Damit sind verschiedene Verzerrungseffekte gemeint, die unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflussen.


Wie Bias unsere Arbeitskultur prägen


Was hat das mit Diversity und Inclusion zu tun? Nun ja, die kognitiven Verzerrungen, von denen die Rede ist, führen dazu, dass wir andere Menschen (und uns selbst) falsch einschätzen – und Entscheidungen treffen, die unfair und irrational sind. Diese unterwandern nicht nur Bemühungen um eine gleichberechtigte Arbeitskultur, sondern lösen oft auch Verhaltensmuster aus, die Minderheiten und Frauen benachteiligen und verletzen können. Denn auch am Arbeitsplatz greifen die verschiedenen Wirkungsmechanismen unseres Hirns und führen dazu, dass unsere Entscheidungen oft nicht so nüchtern sind, wie wir gerne behaupten.



Im Zusammenhang mit Bias wird häufig auf die Kognitionsforschung verwiesen, insbesondere auf unsere Entscheidungsfindung. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann veröffentlichte im Jahr 2011 das Buch „Thinking, Fast and Slow (1), in dem er die Haupterkenntnisse seiner Forschung zusammentrug. Er beschreibt, anschaulich und für Laien verständlich, die unterschiedlichen Funktionsweisen unseres Gehirn-Systems und inwiefern diese uns anfällig für kognitive Verzerrungen machen.


Wie Bias unsere Arbeitskultur prägen


Tatsächlich beruhen unsere Entscheidungen, Meinungen und Handlungen auf „unbewussten Faustregeln“. Diese Faustregeln sind eine Art Abkürzung, die sich unser Gehirn auf Basis von vergangenen Entscheidungen, sozialer Codes und Hinweise merkt. Sie liegen unserer Intuition zu Grunde und sind dafür verantwortlich, dass Fehlentscheidungen ein festes Produkt menschlicher Denkprozesse sind. Ergebnisse von psychologischen Experimenten zeigen auf, dass beispielsweise statistische Daten und Logik in der Entscheidungsfindung massiv vernachlässigt werden und sich unser Gehirn nicht von rationalen Argumenten beeinflussen lässt, insofern bereits ein „Gefühl“ eigesetzt hat (2).



In den letzten Jahren hat dieses Phänomen im Zuge der wachsenden Einflussnahme von Populist:innen wieder extreme Relevanz bekommen. Viele fragten sich: Wie kann es sein, dass so viele Menschen einer gefühlten Wahrheit mehr Glaube schenken als wissenschaftlichen Fakten? Und auch im Zusammenhang mit Entscheidungen am Arbeitsplatz ist die Frage hochrelevant, denn Studien (3)(4) zeigen, dass beispielsweise Frauen bei gleicher Qualifikation oft als weniger kompetent empfunden werden, obwohl die „Fakten“ – in dem Fall ihr CV und ihr Skillset – für sie sprechen.


Lieber nicht aufs Bauchgefühl verlassen?


Wieso schaffen es Menschen nicht, faire Entscheidungen zu treffen? Eine einfache Antwort auf die Frage ist: Weil unser Gehirn die großen Massen an Informationen, die jede Sekunde auf uns einprasseln, nicht aktiv verarbeiten kann. Information overload. So werden, zum einen, große Teile herausgefiltert, also gar nicht erst „wahrgenommen“. Zum anderen neigen wir dazu, um die Komplexität unserer Welt greifbarer zu machen, in Kategorien zu denken. Jene Kategorien sind soziale Konstrukte, die historisch gewachsen sind und mit Stereotypen arbeiten, die der Realität nicht gerecht werden. Die Konsequenz ist eine stark vereinfachte Wahrnehmung der Wirklichkeit, die Selektionsprozessen geschuldet und ansozialisiert ist.


In vielen Situationen ist dieser Filterprozess hilfreich. Wir wären unfähig in einer Welt zu navigieren, in der jede Sekunde mehrere Millionen Informationseinheiten bewusst abgewogen werden müssten. Oftmals retten schnelle Auffassungsgabe und unbewusste Reaktionsmuster sogar unser Leben: Wenn wir als Fußgänger im Halbschlaf zur Arbeit spazieren und plötzlich hinter uns ein Auto hupen hören, springen wir sofort zur Seite und sind alarmiert. Wir müssen nicht erst Argumente im Kopf sortieren nach denen wir entscheiden, wie eine angemessene Reaktion aussähe. Wir nutzen stattdessen eine Art Abkürzung, die sich das Gehirn gemerkt hat, da sie bisher gut funktionierte.


Forscher:innen haben die letzten zwanzig Jahre zunehmend Interesse an diesem Thema gewonnen und untersucht, inwiefern die Abkürzungen des Gehirns in vielen Bereichen des Lebens Entscheidungen beeinflussen (5). Das wird zum einen bewusst eingesetzt, um beispielsweise Kinder dazu zu bekommen, sich gesünder zu ernähren, etwa durch „nudging“. Der Salat wird an einer bestimmten Stelle in der Mensa aufgestellt, der Nachtisch ebenso. Supermärkte und Werber:innen nutzen schon lange Tricks aus der Verhaltenspsychologie um unser Kaufverhalten zu animieren und an unseren irrrationalen Teil des Hirns zu appellieren (6).


Die Frage, inwiefern Abkürzungen des Gehirns eine Auswirkung auf Entscheidungen am Arbeitsplatz und auf die Kultur im Unternehmen haben, wird ebenso diskutiert. Gender und die Erwartungen und sozialen Normen, die an Geschlechterrollen geknüpft sind, spielen hierbei eine große Rolle und führen zu Phänomenen wie dem Gender-Bias.


Unconscious Bias: Eher Sackgasse als Abkürzung


So legen Forschungsergebnisse nahe, dass unbewusste Voreingenommenheiten ein Grund dafür sind, dass Frauen und andere Minderheiten im Unternehmenskontext bei Personalentscheidungen benachteiligt werden, ihnen weniger Möglichkeiten und Förderung zugesprochen werden und sich somit keine inklusive Unternehmenskultur etablieren kann (3)(4). Neben dem Gender-Bias sind viele weitere Formen zu nennen, wie der Ähnlichkeits-Bias, der Racial-Bias, der Halo-Effect und weitere.


Wie Bias Diversity und Inclusion unterminieren


Sie sind Grund dafür, dass ein weiblicher Name auf dem CV dazu führt, dass die sich bewerbende Person weniger kompetent eingeschätzt wird als ihr männliches Pendant. Eine Studie zu Diskriminierung auf dem deutschen Ausbildungsmarkt zeigt, das europäisch klingende Namen auf dem Lebenslauf gegenüber einem ausländisch klingenden Namen bevorzugt werden (7). Irrelevante Merkmale wie Gewicht oder Aussehen (8) beeinflussen Entscheidungsfindung in der Arbeitswelt ebenso wie der Geburtsort oder das Alter (9).



Unternehmen erkennen zunehmend an, dass das ein Problem ist. Voreingenommenheiten im Personal unterminieren nicht nur die Bemühungen um Diversität, sondern verhindern im schlimmsten Fall, dass die am besten qualifizierten Kandidat:innen den Job bekommen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die Unternehmenskultur von Voreingenommenheiten beeinflusst wird und welches Potenzial dadurch verloren geht. Wem wird zugetraut, die nächste Veranstaltung zu moderieren? Welche Erwartungen richten sich an wen im Team? Wer räumt die Spülmaschine in der Teamküche aus?


Unconscious Bias vor allem erstmal sichtbar machen.


Es ist sinnvoll, Bias zunächst im Personal anzugehen und Mitarbeitende dazu anzuleiten, sich mit ihren eigenen Voreingenommenheiten auseinanderzusetzen. Die hat schließlich jede:r. Dazu können Anti-Bias Trainings helfen; es ist jedoch zentral, über Trainings hinaus einen Kulturwandel anzustoßen, der die Strukturen und Arbeitsprozesse ins Zentrum stellt. Welche Feedback-Prozesse gibt es? Wie verlaufen die Hierarchien und die dazugehörigen Verantwortungsbereiche?


Es gibt keinen quick fix gegen Unconscious Bias – Im Gegenteil: Studien legen nahe, dass Anti-Bias Trainings für Manager:innen Voreingenommenheiten sogar erhöhen können (10). Entscheidungsträger:innen haben nach einem solchen Training oftmals das Gefühl, sie wüssten nun ihre Voreingenommenheiten und wären durch das Bewusstsein nun davon „geheilt“, voreingenommene Entscheidungen zu treffen. Das ist gefährlich, denn ohne das Hinterfragen des Recruitment-Prozesses können auch sehr bewusste Individuen keinen Kulturwandel herbeiführen. Um mit Bias einen guten Umgang zu finden, bedarf es unbedingt einen hollistischen Ansatz, der sowohl Mitarbeiter:innen dazu befähigt, sich kritisch zu reflektieren – zum Beispiel in Form von Trainings – und gleichzeitig auf organisatorischer Ebene ansetzt, um institutionalisierte Verzerrungen aufzulösen.



 


(1) Daniel Kahnemann, Thinking, Fast and Slow, 2011, Penguin Books

(2) Benedetto De Martino, Dharshan Kumaran, Ben Seymour, Raymond J. Dolan: Frames, Biases, and Rational Decision-Making in the Human Brain. Science: Aug 2006. Vol. 313, Issue 5787, pp. 684-687

(3) Begeny, C. T.; Ryan, M.K., Moss-Racusin, C.A.; Ravetz, G.: In some professions, women have become well represented, yet gender bias persists—Perpetuated by those who think it is not happening. Science Advances: Juni 2000, Vol.6 (26)

(4) Moss-Racusin, C.A.; Dovidio, J.F., Brescoll, V.L; Graham, M.J.; Handelsman, J.: Science faculty’s subtle gender biases favor male students. PNAS: Oktober 2012, Vol. 109(41)

(5) Hansen, P.G.; Jespersen, A. M., Nudge and the Manipulation of Choice, A Framework for the Responsible Use of the Nudge Approach to Behaviour Change in Public Policy, in: EJRR, Vol. 1, 2013, pp 3-21

(6) Hausman, D. M.; Welch, B., Debate: To Nudge or Not to Nudge, in: The Journal of Political Philosophy: Volume 18, Number 1, 2010, pp. 123–136

(7) Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Diskriminierung am Ausbildungsmarkt- Ausmaß, Ursachen und Handlungsperspektiven. März 2014

(8) Caliendo, Marco; Gehrsitz, Markus, 2014: Obesity and the Labor Market: A Fresh Look at the Weight Penalty. IZA. Nr. 7947

(9) Rothermund/TemmingDiskriminierung aufgrund des Alters. Antidiskriminierungsstelle des Bundes. 2010

(10) Cheryl R. Kaiser, Brenda Major, Ines Jurcevic, Tessa L. Dover, Laura M. Brady and Jenessa R. Shapiro, “Presumed Fair: Ironic Effects of Organizational Diversity Structures,” Journal of Personality and Social Psychology 104, no. 3 (2013)

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