Warum Sichtbarkeit von Queerness noch immer Auszeichnungen braucht
- Rea Eldem

- vor 2 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag
Letzte Woche standen Luka und ich auf einer Liste, die für viele vermutlich ein Schulterklopfen ist, ein netter Karrieremoment, ein „Ach schön, Glückwunsch“-Anlass, ein kurzer Dopamin-Kick im LinkedIn-Feed, und ja, natürlich fühlt es sich gut an, für die PROUT Nominees Liste ausgewählt zu werden, sichtbar zu sein, gewürdigt zu werden. Aber gleichzeitig blieb da ein leises, hartnäckiges Gefühl hängen, das nicht einfach durch Applaus zu übertönen ist: Warum brauchen wir so etwas eigentlich immer noch? Warum ist queere Sichtbarkeit 2025 überhaupt noch eine Schlagzeile wert?
Warum Sichtbarkeit von Queerness noch immer Auszeichnungen braucht – und warum das kein Luxus ist
Wenn ich ehrlich bin: Ich habe eigentlich gar nicht so große Lust auf Listen, auf Awards, auf Sichtbarkeitskampagnen. Ich träume von einer Welt, in der sie überflüssig sind. Einer Welt, in der Queerness nicht ausgezeichnet werden muss, weil sie längst selbstverständlich ist. Einer Welt, in der meine sexuelle Identität nicht erklärt, legitimiert oder verteidigt werden muss. Aber wir leben nicht in dieser Welt.
Die Welt, in der wir leben, fordert viel Erklärung von queeren Menschen ein. Und genau deshalb brauchen wir diese Auszeichnungen – nicht, weil wir Sichtbarkeit lieben, sondern, weil Unsichtbarkeit real ist. Weil sie wirkt und weil sie einschränkt. Und dennoch ist diese Unsichtbarkeit so schwer zu greifen. Was bedeutet sie eigentlich konkret und wozu führt sie?
Queerness ist kein „Thema von wenigen“ – auch wenn viele das glauben
Was mich immer wieder erstaunt – und verletzt, wenn ich ehrlich bin – ist, wie viele Menschen in meinem engsten Umfeld denken, dass „das Thema“ (sexuelle Identität) nur eine kleine, marginalisierte Gruppe betrifft. Als würde es hier um eine lose Interessensgemeinschaft gehen, um einen winzigen Teil der Gesellschaft, der halt ein bisschen Sonderbehandlung braucht, während der Rest „normal“ ist und unberührt bleibt. Aber das ist faktisch falsch.
Sexuelle Orientierung betrifft alle. Jede*r verortet sich, bewusst oder nicht, in Kategorien, sucht Zugehörigkeit, lehnt Labels ab und wird trotzdem ständig mit ihnen konfrontiert. Du kannst dich Labels verweigern so sehr du willst – sie kommen trotzdem zu dir. In Formularen. In Gesprächen. In Annahmen. In Witzen. In Blicken.
Und auch die soziale Kategorie Geschlecht betrifft jede einzelne Person. Jede*r bekommt ein Gender zugeschrieben, oft noch vor der Geburt, manchmal beim ersten Blick auf ein Ultraschallbild, spätestens aber bei der ersten offiziellen Markierung im System. Es gibt keinen Weg daran vorbei, selbst wenn man sich später anders verortet. Das System denkt in Geschlecht, es organisiert danach, es bewertet danach, es sanktioniert danach.
Queerfeindlichkeit getarnt als Sorge
Der Unterschied ist nur: Als queere Person ist diese Reibung oft schmerzhafter, anstrengender, sichtbarer, weil die Kategorien, die die Mehrheit so bequem findet, eben nicht immer passen. Oder gar nicht. Oder sich anfühlen wie ein Fremdkörper, der einem übergestülpt wird. Was viele Leute nicht sehen, ist, wie tief Vorurteile nicht nur im System stecken, sondern auch in Beziehungen, die eigentlich sicher sein sollten. Egal ob am Arbeitsplatz oder im Privaten: den meisten queeren Menschen werden immer wieder mit Annahmen entgegengebracht gebracht, die sie als „anders" markieren.
Queerfeindlichkeit - darunter stellen sich viele Menschen hasserfüllte Kommentare und offene Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe vor. Das gehört dazu, ja. Aber Skepsis gegenüber Queerness äußert sich auch ganz anders. Ich bin immer wieder überrascht davon, wie viel Biphobie es in meinem engsten Umfeld gibt – nicht offen aggressiv, sondern leise, gut gemeint, verpackt als Sorge, als Fürsorge, als Interesse. „Aber was bist du jetzt wirklich?“ oder „Was willst du denn noch alles ausprobieren?" Gemeint ist: lesbisch oder straight. Binär.1oder 0. Entweder-oder. Keine Zwischenräume. Keine Ambivalenzen. Keine Fluidität. Keine Komplexität.
Woher eigentlich dieser Zwang zur Eindeutigkeit?
Dieser Mythos, dass Bisexualität nur eine Phase sei, ein Durchgangszimmer auf dem Weg zur „eigentlichen“ Wahrheit, ist so alt, so hartnäckig und so ermüdend, dass ich manchmal keine Kraft mehr habe, ihn überhaupt zu korrigieren. Dieser ständige Wunsch nach einer klaren Schublade, nach einem finalen Etikett, nach einer Entscheidung, die es für alle anderen einfacher macht, aber für mich enger. Das ist nichts Neues, darüber wurde viel geschrieben - und dennoch bleiben entsprechende Gesellschaftsanalysen und -Abhandlungen all zu oft in unseren Communities, in den Gender Studies, in queeren Buchhandlungen.
Unsichtbarkeit heißt auch, dass es wenig Repräsentation gibt. Obwohl bisexuelle Menschen den größten Anteil der LGBTQIA+-Community ausmachen, werden sie oft unsichtbar gemacht oder mit Vorurteilen konfrontiert. Das gilt sowohl in queeren Räumen, als auch außerhalb. Ein Blick in die Popkultur, etwa in bekannte Hollywood-Filme, macht diese Unsichtbarkeit deutlich. Sowohl schwule Männer als auch lesbische Frauen kommen vor, oft in Form stereotypischer Darstellung. Der schwule beste Freund, meist mit überzogen femininen Attributen versehen, die lesbische Feministin, ebenfalls klischeehaft gezeichnet. Was diese Klischees mit uns machen, und warum sie meistens schwulen Männern die Maskulinität und lesbischen Frauen ihre Femininität abschreiben müssen, das ist einen eigenen Blog-Artikel wert. Ich will auf was anderes hinaus: Bisexuelle Personen kommen wenig bis gar nicht vor.
Unsere Gesellschaft orientiert sich gern an sozialen Kategorien, in die wir uns gegenseitig einordnen können. Bisexuelle Personen machen diese Einordnung schwer, sie sind weder heterosexuell noch homosexuell. „Bi-Erasure“ beschreibt das Phänomen, dass Bisexualität deshalb geleugnet oder als Phase abgetan wird. Dieser Unsichtbarkeitsfaktor führt dazu, dass bisexuelle Menschen sowohl in heteronormativen als auch in queeren Kreisen häufig nicht vollständig akzeptiert oder ernst genommen werden.
Waghalsige Theorien und Erklärungsfantasien
Im Arbeitskontext zeigt sich diese Unsichtbarkeit besonders deutlich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass bisexuelle Mitarbeitende erleben, dass ihre sexuelle Orientierung als verwirrend angesehen wird – insbesondere, wenn sie in der Vergangenheit Beziehungen mit Menschen unterschiedlichen Geschlechts hatten. So wird häufig erwartet, dass man sich entweder als „hetero“ oder „homo“ einordnet. Diese ständigen Erwartungen führen dazu, dass viele bisexuelle Menschen sich mehrfach outen müssen oder aus Angst vor Missverständnissen gar nicht erst outen.
Tatsächlich sind bisexuelle Menschen am Arbeitsplatz deutlich seltener geoutet als ihre schwulen oder lesbischen Kolleg*innen. Einer neuen Umfrage zu Folge, gehen in Deutschland nur 16% aller bisexuellen Personen offen mit ihrer Sexualität am Arbeitsplatz um. Das kann ich gut verstehen. Denn auch ich werde immer wieder mit waghalsigen Theorien über mich und meine Queerness konfrontiert. Die Idee, ich sei „queer geworden“, weil irgendetwas mit mir passiert sei, als sei meine Identität eine Folge eines Traumas, eines Fehlers, eines Bruchs. Als würde queeres Sein zwangsläufig eine Abweichung von etwas „Eigentlichem“ sein. Und ganz ehrlich: Diese Fragen würde ich manchmal gerne zurückgeben. Denn niemand fragt den heterosexuellen Ehemann mit zwei Kindern: Bist du straight, weil du eine schlechte homosexuelle Erfahrung hattest?
Niemand kommt auf die Idee, Heterosexualität zu pathologisieren. Niemand fragt hetero Menschen nach dem Ursprung ihrer Orientierung. Niemand baut wilde psychologische Konstrukte, um sie erklärbar zu machen. Aber bei queeren Menschen scheint alles erklärungsbedürftig zu sein. Als müssten wir einen Grund liefern, eine Geschichte, einen Auslöser. Diese Art von Fragen ist keine Neugier. Es ist Kontrolle und der Versuch das eigene Weltbild zu validieren.
Wer macht hier wessen Leben kompliziert?
Ein Satz, der mir besonders nahe geht, ist: „Ihr macht euch das Leben aber auch kompliziert.“
Gesagt von Menschen, die glauben, sie würden mich schützen. Menschen, die denken, ich müsste nur weniger einordnen, weniger hinterfragen, weniger widersprechen – dann wäre alles leichter. In Wahrheit sind es oft genau die Menschen, die überfordert sind von dem, was meine Existenz in ihnen auslöst: Dass sie sich plötzlich mit trans Identitäten, mit Nicht-Binarität, mit Begehren auseinandersetzen müssen, das nicht in 0 und 1 passt. Was sie eigentlich meinen, ist nicht, dass mein Leben kompliziert sei – sondern dass es für sie kompliziert wird. Dass meine Beziehungen sie zwingen, ihre Ordnung zu hinterfragen. Dass mein Begehren ihnen ihre Schubladen durcheinanderbringt. Sie denken, ich müsste aufhören, queer zu daten, dann wäre mein Leben einfacher. Aber was sie wirklich sagen, ist: Wenn du aufhören würdest, queer zu daten, wäre mein Leben einfacher.
Und ja: Manche Dinge sind kompliziert. Wirklich. Sich durch ein System zu navigieren, das obsessiv in 0 und 1 denkt, zum Beispiel. In Mann oder Frau. In hetero oder homo. In entweder oder. In Norm oder Abweichung. Aber ich mache mir das Leben nicht kompliziert. Das System ist kompliziert. Was weh tut, ist nicht meine Queerness. Was weh tut, ist anzuecken in einer Welt, die mich gerne in eine Schachtel pressen würde, damit sie aufhört, sich unwohl zu fühlen.
Ich merke im Privaten schon, wie anstrengend das alles ist. Wie schnell es müde macht. Wie es zu Rückzug führt. Zu diesem leisen Bedürfnis, wieder in Räume zu gehen, in denen ich nicht erklären muss, in denen kein Übersetzen nötig ist, in denen mein Begehren, meine Beziehungen, meine Sprache nicht jedes Mal zum Thema gemacht werden. Queere Räume als Ort zum Atmen, nicht als politisches Statement, sondern als Notwendigkeit.
Das Arbeitsumfeld als Ort emotionaler Erschöpfung
Und ganz ehrlich: Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sich anfühlen muss, in Arbeitsumfeldern zu arbeiten, in denen diese Unsichtbarmachung nicht nur im Privaten, sondern jeden einzelnen Tag passiert. Ich habe Glück. Mein Beruf erlaubt mir, genau darüber zu sprechen. Ich werde dafür bezahlt, anstrengende Gespräche zu führen, meine Identität offenzulegen, Spannungen auszuhalten. Viele andere machen genau diese emotionale Arbeit jeden Tag, nur um irgendwie klarzukommen. Ohne Bühne, ohne Budget, ohne Schutzraum.
Und genau deshalb brauchen wir Auszeichnungen wie PROUT. Nicht, weil wir Aufmerksamkeit wollen. Nicht, weil wir besser sein wollen als andere. Nicht, weil wir eine „queere Elite“ brauchen. Sondern, weil Sichtbarkeit ein Gegengewicht ist. Zu Unsichtbarkeit. Zu Bagatellisierung. Zu „Ist doch heutzutage kein Problem mehr“. Zu „Ihr habt doch jetzt Ehe für alle, was wollt ihr noch?“ Zu „Müsst ihr so ein großes Ding draus machen?“ Ja. Müssen wir. Und genau deshalb ist so eine Liste wichtig.
Weil jedes Mal, wenn Luka und ich auf so einer Liste stehen, irgendwo eine Person sitzt, die sich zum ersten Mal denkt: Vielleicht bin ich nicht alleine. Vielleicht gibt es einen Platz für Leute wie mich. Vielleicht muss ich mich nicht kleiner machen, damit ich passe. Und vielleicht auch, damit diejenigen, die meinen, „nicht betroffen“ zu sein, merken: vielleicht betrifft mich das ja irgendwie doch. Denn was selten mitgedacht wird: Dieses Denken in 0 und 1 produziert einen gewaltigen Confirmation Bias. Menschen sehen nur, was in ihr Raster passt – und merken oft gar nicht, wie häufig sie falsch liegen.
Sichtbarkeit ist kein Ego-Trip. Sie ist Verantwortung.
Ich habe das unzählige Male erlebt, gerade in der Arbeitswelt: Wenn ich von meinem Ex spreche, wird fast immer automatisch von einem cis Mann ausgegangen. Wenn jemand in einer Beziehung mit einem Mann oder einer Frau ist, glauben viele, damit auch die sexuelle Orientierung zu kennen. Aber in Wahrheit weißt du fast nie so viel, wie du denkst. Du weißt nicht, ob jemand bisexuell ist und gerade in einer hetero oder queer gelesenen Beziehung lebt. Du weißt nicht, ob eine genannte Person cis oder trans ist. Und genau deshalb weißt du auch nicht, wie viele Menschen in deinem direkten Arbeitsumfeld tatsächlich betroffen sind von diesem 0-und-1-Denken, von dieser Engstirnigkeit, von diesem Zwang, alles einzuordnen.
Und genau das berührt für mich den Kern der Arbeit der PROUT AT WORK Foundation – Menschen, die „einfach ihren Job machen“ und dabei ihre Queerness nicht verstecken, zu zeigen und auszuzeichnen. Nicht als Performance, sondern als Realität. Und ja, das reicht bis heute, um anzuecken. Es reicht, um irritierend zu sein. Es reicht, um plötzlich politisch zu sein – und manchmal reicht es auch, um ausgezeichnet zu werden.

Warum Sichtbarkeit von Queerness noch immer Auszeichnungen braucht, das sollte jetzt klar sein. Wer sich dafür interessiert, queere Menschen und ihre Arbeit auf einmal zu sehen, um sie z.B. für ihre Expertise für Vorträge u.ä. zu kontaktieren, kann hier vorbei gucken:proutperformer.de.



